Björn Bender, CEO & Executive Chairman bei Rail Europe, hat über zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Mobilitätsbranche – insbesondere im Bereich des öffentlichen Verkehrs. Wir sprachen darüber, was ihn dazu bewegt hat, sich diesem zukunftsweisenden Thema zu widmen, welche Herausforderungen und Chancen er in der Branche sieht und welche Visionen er für die Mobilität der Zukunft hat. Er gibt spannende Einblicke in eine Branche, die unsere Art zu leben und zu reisen maßgeblich mitprägt.
Björn, du bist seit 20 Jahren in der Mobilitätsbranche aktiv und hast mehr als ein Jahrzehnt in leitenden Positionen in verschiedenen Unternehmen gearbeitet. Was war der entscheidende Moment, der dich dazu brachte, dich mit dem Thema Mobilität zu beschäftigen? Hattest du als Kind schon den Wunsch, Lokomotivführer zu werden?
Ich bin ein Mensch, der von Überzeugungen und Leidenschaft getrieben ist – in allen Bereichen meines Lebens. Dabei gibt es zwei große Leidenschaften, die mich prägen: Sport und Mobilität. Nach der Schule hatte ich zunächst den Plan, in den Sportbereich zu gehen. Ich habe viele Jahre professionell Sport getrieben und wollte Sportmanagement studieren. Allerdings bin ich bei der Eignungsprüfung für den Sportstudiengang, insbesondere beim Bodenturnen, gescheitert und wurde nicht zum Studium zugelassen.
Mobilität war also mein zweiter Weg. Als Kind war ich nicht unbedingt vom Beruf des Lokomotivführers fasziniert, sondern ich stammte ursprünglich aus Mannheim und habe oft Zeit am Frankfurter Flughafen verbracht. Ich erinnere mich daran, einfach nur bei McDonald’s zu sitzen, einen Kaffee zu trinken und den startenden und landenden Flugzeugen zuzusehen. Das hat mich schon früh begeistert. Meine Eltern waren viel unterwegs – mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln –, und dieses Unterwegssein, das Organisieren von Reisen für verschiedene Bedürfnisse, hat mich von klein auf gepackt und nie losgelassen.
Als klar wurde, dass eine Karriere im Sport für mich unmöglich war, entschied ich mich, Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Mobilität zu studieren. Damals hieß es noch Verkehrswesen und Touristik, und ich absolvierte ein klassisches BWL-Studium in diesem Bereich. Und wie es oft so ist, blieb ich einfach hängen.
Also war dein Weg zur Mobilität also ein gerader Weg?
Ein gerader Weg war das ganz sicher nicht. Für mich bedeutet ein gerader Weg, dass man eine klare Vorstellung davon hat, was man möchte oder wohin man will. Ich kenne viele Menschen, die ihre Karriere akribisch am Reißbrett geplant haben – das war bei mir nie der Fall.
Ich habe stets von einer Entscheidung zur nächsten getroffen, Möglichkeiten ergriffen, Glück gehabt, bin auch mal gescheitert. Insgesamt habe ich kumuliert etwa drei Jahre mit einem Rucksack auf dem Rücken auf allen Kontinenten verbracht – in 87 Ländern. Diese Erfahrungen haben meine Perspektive auf Mobilität erheblich geprägt. Die Fragen, wie ich reise, wie ich von A nach B komme und wie ich mich organisiere, haben mich immer beschäftigt. Mein Werdegang war also alles andere als geradlinig, aber ich bin dem Thema Mobilität treu geblieben, und das war wahrscheinlich der entscheidende Punkt.
Nach meinem Studium begann ich meine Karriere in der Industrie, mein erster Job war im Bereich Aviation. Wenn du mich vor 20 Jahren gefragt hättest, ob ich jemals in der Bahnindustrie oder im öffentlichen Verkehr arbeiten würde, hätte ich wahrscheinlich geantwortet, dass dies der verstaubteste Teil der Mobilität ist. Zu meiner Zeit war die Bahnbranche eher als schwerfällig und wenig innovativ bekannt. Ende der 2000er Jahre war sie fast am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen und galt eher als Teil des Problems als der Lösung – insbesondere in Bezug auf die Herausforderungen, die die Deutsche Bahn schon damals hatte.
Wenn ich seinerzeit gesagt habe, ich arbeite für die Deutsche Bahn, bekam ich oft Mitleid entgegengebracht. Die Leute dachten, ich spräche von der Deutschen Bank und waren überrascht, als ich klarstellte, dass es sich um die Deutsche Bahn handelte. Heute hat sich das Bild jedoch gewandelt. Die Entwicklungen, die wir in der Branche vor 15 bis 20 Jahren gesehen haben, sind mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. Das ist spannend, denn es zeigt, dass wir in einem attraktiven Umfeld arbeiten, in dem wir hoffentlich gesellschaftliche Herausforderungen, wie den Klimawandel, aktiv angehen können.
Was denkst du, sind die wichtigsten Maßnahmen, die Deutschland ergreifen müsste, um ein besseres Mobilitätssystem zu entwickeln?
Ich denke, es gibt mehrere Schlüsselmaßnahmen, die unerlässlich sind. Zunächst einmal ist ein massives Investitionsprogramm für die Infrastruktur notwendig. Wir müssen nicht nur die Gleise und Bahnhöfe modernisieren, sondern auch die digitale Infrastruktur. Der Einsatz moderner Technologien kann helfen, die Effizienz zu steigern und die Kundenerfahrung zu verbessern.
Ein weiterer Punkt ist die Verbesserung des Angebots selbst. Dazu gehört, dass die Fahrpläne besser aufeinander abgestimmt werden, um Umstiege zu erleichtern, sowie die Einführung attraktiverer Ticketpreise und -modelle. Es wäre auch wichtig, den Nahverkehr zu stärken, um die Menschen dazu zu bewegen, von Autos auf Züge und Busse umzusteigen.
Zusätzlich müssen wir ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung des öffentlichen Verkehrs in der Gesellschaft schaffen. Das betrifft nicht nur die Nutzer:innen, sondern auch die Politik und die Wirtschaft. Es braucht einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, um den öffentlichen Verkehr als wichtiges Gut zu begreifen und zu fördern.
Schließlich ist auch der Wettbewerb im Schienenverkehr entscheidend. Wie wir in Österreich gesehen haben, kann ein gewisser Wettbewerb dazu führen, dass die Anbieter besser werden und die Preise sinken. Das sollte auch in Deutschland ein Ziel sein.
Insgesamt ist es eine Kombination aus Investitionen, Angebotsverbesserungen, gesellschaftlichem Bewusstsein und Wettbewerb, die Deutschland helfen kann, ein besseres öffentliches Verkehrssystem zu entwickeln.
Das ist ein sehr umfassender Ansatz. Du sprichst von der Notwendigkeit eines Masterplans für die Mobilität der Zukunft. Glaubst du, dass wir in den nächsten Jahren eine klare Richtung sehen werden, oder wird es eher ein schrittweiser Prozess sein, der von verschiedenen Faktoren abhängt?
Ich denke, es wird ein schrittweiser Prozess sein. Die Mobilitätswende ist eine komplexe Herausforderung, die von vielen Faktoren beeinflusst wird, darunter technologische Entwicklungen, gesellschaftliche Veränderungen und politische Entscheidungen. Wir sehen bereits jetzt, dass sich die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen ändern, insbesondere mit dem Aufkommen von On-Demand-Diensten und Sharing-Modellen.
Es wird wichtig sein, dass der Staat und private Anbieter zusammenarbeiten, um ein integriertes und flexibles System zu schaffen, das den unterschiedlichen Bedürfnissen der Nutzer:innen gerecht wird. Das bedeutet, dass wir nicht nur neue Technologien einführen, sondern auch bestehende Strukturen überdenken müssen.
Ein wichtiger Aspekt wird auch die Akzeptanz in der Bevölkerung sein. Die Menschen sollten überzeugt sein, dass alternative Mobilitätsangebote, wie Carsharing oder autonome Fahrzeuge, sicher und praktikabel sind. Das braucht Zeit und erfordert gezielte Informationskampagnen und noch mehr Pilotprojekte, um Vertrauen aufzubauen.
Insgesamt glaube ich, dass wir einen klaren Rahmen benötigen, um die verschiedenen Initiativen zu koordinieren und sicherzustellen, dass sie auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Aber es wird kein einfacher oder schneller Prozess sein, und wir müssen flexibel bleiben, um auf Veränderungen reagieren zu können.
Was ist mit unserer Schieneninfrastruktur? Glaubst du, dass wir dort die richtigen Schritte unternehmen, um das System für die Zukunft fit zu machen?
Ich denke, wir müssen uns definitiv mehr um die Schieneninfrastruktur kümmern. Deutschland hat in der Vergangenheit gute Entscheidungen getroffen, aber wir haben auch einiges versäumt. Die Herausforderung liegt darin, dass wir ein dezentrales Netz haben, das sich um viele Zentren gruppiert, im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich oder Spanien, wo Hochgeschwindigkeitszüge auf ein oder zwei zentrale Punkte fokussiert sind.
Das bedeutet, dass wir nicht einfach neue Infrastrukturen bauen können, sondern dass wir vor allem die bestehende Infrastruktur effizienter nutzen müssen. Es gibt erhebliche Potenziale zur Kapazitätssteigerung auf dem bestehenden Schienennetz – bis zu 40 Prozent! Das ist enorm und zeigt, dass wir erst einmal in die Optimierung des Bestehenden investieren sollten, bevor wir über Erweiterungen nachdenken.
Ein weiteres großes Thema sind die Hauptknotenpunkte, die oft das Nadelöhr im System darstellen. Hier müssen wir investieren, um Engpässe zu beseitigen und die Verbindungen zu verbessern. Die 100 Milliarden Euro, die oft erwähnt werden, müssen sinnvoll eingesetzt werden, um diese Probleme anzugehen.
Wir müssen uns auch um die Reisenden kümmern, die bereits das System nutzen. Wenn es zu Verzögerungen oder Unannehmlichkeiten kommt, riskieren wir, dass diese Menschen das Vertrauen in das System verlieren. Es ist wichtig, dass wir ein positives Reiseerlebnis schaffen, um die Mobilitätswende erfolgreich zu gestalten und neue Nutzer:innen zu gewinnen.
Insgesamt ist es ein komplexes Zusammenspiel von Instandhaltung, Digitalisierung und intelligenten Investitionen, das die Grundlage für eine zukunftsfähige Mobilität bildet.
Es gibt die Idee des Hyperloops. Glaubst du, dass solche Tunnelsysteme, solche Tunnelnetzwerke mit Transportkapseln wirklich eine realistische Zukunft haben? Oder ist das alles nur eine verrückte Spinnerei? Kann das tatsächlich Teil einer Lösung für die Mobilitätswende sein, oder ist das eher Quatsch?
Technisch gesehen ist der Hyperloop keineswegs eine Spielerei. Es gibt bereits zwei oder drei Teststrecken, die von unterschiedlichen Anbietern betrieben werden. Das Prinzip der Magnetschwebetechnik ist bewährt, wie wir schon vor rund 30 Jahren beim Transrapid gesehen haben. Die Technologie funktioniert definitiv.
Aber ich glaube nicht, dass wir in Europa in naher Zukunft den Mut aufbringen werden, ein derartiges Projekt in großem Maßstab umzusetzen. Ein solches System müsste über die Grenzen Deutschlands hinausgehen und wirklich ganz Europa verbinden – von Berlin über Paris bis nach Barcelona.
Sind wir bereit, immense Milliardenbeträge in ein solches System zu investieren, das vielleicht in 20 Jahren den europäischen Flugverkehr ersetzen könnte? Ich bezweifle es. Obwohl der Druck durch den Klimawandel groß ist, ist er offenbar noch nicht groß genug, um solche drastischen Entscheidungen zu treffen. Zudem ist die Finanzierung völlig unklar. Deutschland alleine wird diese Last nicht schultern können. Wir bräuchten eine entschlossene Haltung in ganz Europa.
Schauen wir uns jedoch unsere aktuellen Hochgeschwindigkeitsstrecken an: Von München nach Hamburg braucht man etwa vier Stunden. Das ist völlig ausreichend. Daher sehe ich den Hyperloop in den nächsten Jahren nicht als realistische Lösung.
Und wie sieht es mit Wasserstraßen aus? Könnten Luftkissenboote oder andere innovative Fahrzeuge eine Rolle spielen?
Da muss ich offen sagen, dass ich kein Experte auf diesem Gebiet bin. Wasserstraßen sehe ich allerdings nicht als Lösung für den Massenpersonenverkehr. Ich kenne keine praktikable Idee in diesem Bereich. Sie sind allerdings ein bedeutender Bestandteil der Logistik. Ich denke, wir machen viel zu wenig daraus.
Häufig fokussieren wir uns darauf, wie wir Lkw-Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern können. Doch wir sollten auch überlegen, wie wir Ladungen auf andere Verkehrswege bringen könnten, einschließlich Wasserstraßen. Besonders in Ländern wie Deutschland und Frankreich bieten sie großes Potenzial. Wie viele Tonnen tatsächlich realistisch verlagert werden könnten, kann ich jedoch nicht genau sagen.
Ein Logistiker, mit dem ich gesprochen habe, meinte, dass die Wasserstraßen oft zu schmal oder nicht tief genug seien. Man müsste allerdings große Schiffe einsetzen, damit es sich lohnt.
Das ist sicherlich ein Punkt. Zudem spielt der Klimawandel eine erhebliche Rolle. Schwankende Wasserstände – mal zu viel, mal zu wenig – erschweren die Schifffahrt. Dies macht den Einsatz von Schiffen nicht unbedingt leichter.
Gibt es andere innovative Konzepte oder Technologien, die wir noch nicht angesprochen haben?
Ich denke, besonders in der Eisenbahnindustrie gibt es noch ungenutztes Potenzial, speziell im Bereich Wasserstofftechnologie. Wasserstoffzüge könnten einen erheblichen Einfluss haben, vor allem auf Strecken, die noch nicht elektrifiziert sind – und davon gibt es noch eine Menge.
Im Bereich der Autos sind sich die Experten einig, dass Wasserstoff keinen großen Einfluss haben wird. Doch beim Lkw-Verkehr und auf der Schiene sieht das anders aus. Viele Infrastrukturen sind noch nicht mit Stromabnehmern ausgestattet. Hier könnten Wasserstoffzüge eine nachhaltige Alternative bieten, ohne die bestehende Infrastruktur komplett umbauen zu müssen.
Ein Beispiel: Die Strecke nach Oberstdorf. Die letzten 30 Kilometer sind nicht elektrifiziert. Hier könnten wasserstoffbetriebene Lokomotiven eine umweltfreundlichere Lösung bieten, ohne dass umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen notwendig wären.
Welche Rolle werden digitale Plattformen und Apps bei der Vernetzung und Optimierung des öffentlichen Verkehrs spielen? Und wie können die Daten- und Cybersicherheit dabei gewährleistet sein?
Digitale Plattformen und Apps spielen eine äußerst wichtige Rolle. In den letzten Jahren haben wir viel über Mobility as a Service (MaaS) gesprochen, die Idee einer universellen Mobilitäts-App, die alle Bedürfnisse abdeckt. Doch Pilotprojekte zeigen, dass 80-90% unserer Mobilität routiniert abläuft. Die meisten Menschen wissen bereits, welche Verkehrsmittel sie nutzen und wann. Sie benötigen hauptsächlich Informationen über Zeiten und Verfügbarkeiten, eventuell auch Zugang zu Fahrzeugen.
Es stellt sich also die Frage, ob wir tatsächlich eine umfassende Mobilitäts-App brauchen oder ob wir nicht vielmehr leistungsstarke Navigations- und Buchungs-Apps benötigen. Es geht darum, die vorhandenen Daten effizient zu nutzen und den Zugang zu Informationen und Services zu verbessern.
Besonders im Eisenbahnsektor gibt es viele Herausforderungen, da es an Standardisierung mangelt. Unterschiede von Land zu Land und von Anbieter zu Anbieter erschweren die Nutzung. Beispielsweise sind Tarife und Regelungen europaweit oft uneinheitlich, was die Planung und Buchung kompliziert macht.
Unsere Vision ist es, die Eisenbahn als Transportmittel so komfortabel wie möglich zu gestalten. Wir wollen den Zugang zu Informationen und Services für ganz Europa vereinfachen und standardisieren. Digitale Technologien sind hierbei essenziell, um Reisende zu unterstützen und den öffentlichen Verkehr effizienter zu gestalten.
Da scheint doch Künstliche Intelligenz (KI) ein Zaubermittel zu sein, oder?
KI ist mittlerweile in fast allen Bereichen ein Zaubermittel. Sie kann nicht nur helfen, die individuellen Bedürfnisse der Reisenden besser zu verstehen, sondern auch die Planung und Durchführung von Reisen zu erleichtern. Es geht hier immer um Bequemlichkeit.
Der öffentliche Verkehr muss so einfach und komfortabel wie das eigene Auto werden. Nur dann werden die Menschen bereit sein, umzusteigen. Zwar gibt es Menschen, die aus einem Klimabewusstsein heraus den Zug nutzen, aber das sind nicht die meisten. Die Hauptgründe sind Preis, Sicherheit und Komfort. Wenn wir es schaffen, den öffentlichen Verkehr genauso einfach zu gestalten, werden wir eine nachhaltige Veränderung bewirken können. Der Zug ist zweifellos eine sehr nachhaltige Option, aber der wirkliche Anreiz für die Menschen ist die Einfachheit der Nutzung. Die Klimadebatte sollte sich daher mehr auf die Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit konzentrieren, um eine größere Akzeptanz zu erreichen.
Es gibt noch weitere Punkte wie Wohlbefinden und persönliche Sicherheit. Während der Corona-Pandemie sind viele Menschen wieder auf ihr Auto umgestiegen, um Kontakte zu vermeiden. Auch die bisweilen ungute Atmosphäre in Bahnen ist besonders für Frauen nicht förderlich. Viele steigen deshalb wieder in ihren kleinen Twingo. Es geht also nicht nur um Bequemlichkeit, sondern auch um Sicherheit, auch für ältere Menschen. Welche Innovationen im Bereich Komfort und Sicherheit erwartest du? Wird dieses Problem ernst genommen?
Das ist zweifellos ein gesamtgesellschaftliches Thema. Die Sicherheitswahrnehmung hat sich verändert, oft auch durch Medienberichte verstärkt. Auch wenn viele dieser Themen mehr mit der Wahrnehmung als mit der Realität zu tun haben, müssen wir diese ernst nehmen, da das Gefühl entscheidet, ob jemand öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder nicht.
Technologie kann hier enorm helfen. Es ist zwar nicht möglich, an jeder U-Bahn-Station ständige Polizeipräsenz zu haben, aber wir können durch Lautsprecher, Kameras und andere Maßnahmen ein verbessertes Sicherheitsgefühl schaffen. Diese Technik kann dazu beitragen, das subjektive Gefühl der Unsicherheit zu verringern.
Im öffentlichen Verkehr – speziell beim Flugverkehr und bei der Bahn – kennen wir die meisten unserer Kund:innen. Das schafft ein Gefühl von Sicherheit. Die Herausforderungen sind jedoch unterschiedlich, je nachdem, ob man in einer Großstadt wie Berlin oder in einer kleineren Stadt unterwegs ist.
Wenn wir es nicht schaffen, das Sicherheitsgefühl zu verbessern, wird die gesellschaftliche Debatte weiter eskalieren und es wird schwerer, die Menschen zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs zu bewegen. Das ist eine große Herausforderung, die wir ernst nehmen müssen.
Ja, das Problem wird sicherlich auch durch die politische Debatte verstärkt, besonders mit den extremen Lagern, die entstehen. Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung?
Genau, die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen spielen eine große Rolle. Extreme Positionen und die Polarisierung in der Gesellschaft tragen nicht zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls bei. Wenn wir es nicht schaffen, ein sicheres und komfortables Umfeld im öffentlichen Verkehr zu schaffen, wird dies langfristig die Bereitschaft der Menschen beeinflussen, diesen zu nutzen.
Wir müssen uns bewusst sein, dass es keine einfache Lösung gibt. Es erfordert eine Kombination aus technischen Innovationen, besserem Service und einer gesellschaftlichen Debatte, die auf Verständigung und Kooperation abzielt. Nur so können wir die Akzeptanz und Nutzung des öffentlichen Verkehrs nachhaltig verbessern.
Gibt es Städte oder Länder, die du als Vorbilder betrachtest? Du hast Länder wie Spanien und Frankreich erwähnt, aber auch in China gibt es sehr gute Systeme. Gibt es weltweit Vorbilder, die dich beeindruckt haben?
Wir müssen genau hinsehen, was gut läuft. Nehmen wir das Thema Liberalisierung und Wettbewerb. Italien und Spanien sind da wirkliche Vorreiter. Zwischen Madrid und Barcelona gibt es mittlerweile vier, bald fünf Fernverkehrsanbieter, die miteinander konkurrieren. Das hat den Flugverkehr auf diesen Strecken nahezu überflüssig gemacht – es sei denn, es handelt sich um Zubringerflüge für interkontinentale Reisen. Die Preise sind gesunken, das Angebot ist größer geworden – ähnlich wie bei Flügen von Berlin nach London, wo mehrere Airlines im Wettbewerb stehen.
Ein Beispiel für die Bedeutung digitaler Plattformen: Bei der spanischen Staatsbahn Renfe kannst du ein Ticket von Madrid nach Barcelona kaufen, nicht aber Tickets der anderen Anbieter, die diese Strecke anbieten. Das zeigt, wie wichtig neutrale Plattformen sind. Wenn du nach London fliegen würdest, würdest du dein Ticket wahrscheinlich nicht direkt bei Lufthansa buchen, sondern bei einem Anbieter, der dir das beste Angebot herausfiltert. Dasselbe passiert jetzt in der Bahnindustrie.
Skandinavien ist ein weiteres gutes Beispiel, vor allem wenn es um Gesamtmobilität geht. Dort werden Subventionen anders geregelt. Es gibt weniger Dienstwagenprivilegien, weniger Förderung unsinniger Auto-
mobilität und mehr Förderung von Elektromobilität. Das Flächenmanagement wird anders betrieben, besonders in innerstädtischen Bereichen. Das sind Ansätze, die auch Carsharing-Anbieter stark unterstützen.
Es gibt auch hervorragende Beispiele außerhalb Europas. China hat beeindruckende Systeme, aber wir müssen vorsichtig sein. Wir wollen keine Rahmenbedingungen wie in China, die oft autoritär sind und in kürzester Zeit Infrastrukturprojekte umsetzen. Wir wollen in Freiheit und unserer Demokratie leben und dennoch die Mobilität verbessern.
Aber man kann dortige Beispiele dennoch als Anregung nutzen. Wie man das gesellschaftspolitisch umsetzt, ist eine andere Sache. Frank Sieren schreibt über autonomes Fahren, über 14.000 Taxen, die in Shenzhen ohne Fahrer unterwegs sind. (ab Seite 40) Das zeigt, dass es umsetzbare Ideen gibt.
Das stimmt. Wenn ich nach Paris schaue, was dort gemacht wird, um eine 15-Minuten-Stadt zu schaffen, dann ist das beeindruckend. Wenn man hingegen die Flächendiskussion in Berlin betrachtet, wie die um die Nutzung der Friedrichstraße, die für den Verkehr gesperrt wurde und wieder geöffnet wurde – dann war das schon eine ziemlich große Debatte für nur 200 Meter. In Paris sieht man ständig neue Fahrradwege und weniger Parkplätze. Das zeigt, dass auch unter unseren Rahmenbedingungen viel möglich ist.
Hannover ist auch ein vorzeigbares Beispiel. Es funktioniert, wenn man will.
Ja, absolut!
Was bietet eigentlich dein Unternehmen Rail Europe?
Rail Europe ist sozusagen der globale Hub für europäische Bahntickets. Was uns besonders macht, ist, dass wir schon seit Jahren Reisenden in Ländern wie den USA, China, Südkorea, Japan, Indien und Australien den Zugang zu Bahntickets von über 100 europäischen Bahnbetreibern ermöglichen – darunter die Deutsche Bahn, ÖBB, SBB, Eurostar, SNCF, Renfe und Thalys. Unser Ziel war es immer, den Reisenden weltweit die Vorteile des europäischen Schienennetzes näherzubringen und das auf eine sehr benutzerfreundliche Art.
Aber wir sind längst nicht mehr nur auf die internationalen Märkte fokussiert. Seit einiger Zeit ist Rail Europe auch innerhalb Europas stärker aktiv. Das bedeutet, wir bieten unsere Plattform nicht nur Reiseanbietern außerhalb Europas an, sondern haben uns auch in Europa selbst etabliert. Mit unserem erweiterten Serviceangebot machen wir es Reiseanbietern überall auf der Welt einfacher, europäische Bahntickets zu verkaufen. Durch unser breites Netzwerk und die enge Zusammenarbeit mit rund 15.000 Reiseanbietern weltweit schaffen wir eine nahtlose Verbindung zwischen europäischen Bahnbetreibern und Reisenden, egal ob sie in New York, Sydney oder eben in Berlin sitzen. Das macht Rail Europe zu einem wirklich umfassenden Service, der die Buchung von Bahnreisen einfacher und attraktiver gestaltet – sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas.
Okay, schließen wir doch mal mit deiner persönlichen Vision für den öffentlichen Verkehr im Jahr 2050. Was siehst du als realistisch an, wo wir 2050 sein könnten?
Erst einmal geht es darum, wie wir die Gesamtmobilität bewältigen. Wir sprechen immer von nachhaltiger Mobilität und Wandel hin zum öffentlichen Verkehr. Aber das Grundproblem ist, dass wir immer mehr Mobilität konsumieren. Selbst in einem schrumpfenden Europa nehmen die Zulassungszahlen für Autos zu, die gefahrenen Kilometer steigen und auch die Flugzahlen. Gleichzeitig wächst der öffentliche Verkehr um 20 Prozent. Das heißt, alles wächst und wir stoßen an Kapazitätsgrenzen.
In Schwellenländern wie Indien, China und Nigeria kommen jedes Jahr Millionen Menschen in die Mittelschicht, die mobil sein wollen. Diese Herausforderung wird nicht gelöst, indem wir einfach eine bessere Bahn haben. Wir müssen die Mobilität insgesamt reduzieren, weil die Menge an Reisen, die entsteht, nicht zu managen ist.
Realistisch gesehen können wir in Europa bis 2050 einen Modal Split von 20 Prozent auf der Schiene erreichen. Die prozentualen Anteile der einzelnen Verkehrsmittel an der gesamten Verkehrsleistung geben Aufschluss über die Verkehrsmittelnutzung und den damit zurückgelegten Kilometern pro Person. In Deutschland sind wir derzeit bei etwa 8 Prozent im Bahnverkehr. Das heißt, wir haben einen langen Weg vor uns. 12 Prozent mehr klingt wenig, aber das sind Millionen mehr Fahrten. Wenn wir die Auslastung der Fahrzeuge verbessern, steigert das die Lebensqualität.
Es wird ein Mix aus Anreizen und Regulierungen sein. Ich glaube nicht, dass nur ein besseres Angebot ausreicht, um Veränderungen zu bewirken. Dafür geht es uns zu gut, und die Probleme sind nicht groß genug. Wir sprechen viel über das Klima, aber es wird wahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren nicht so akut, dass wir unser Verhalten drastisch ändern. Wir brauchen einen realistischeren Preis, weil momentan vieles falsch subventioniert sind. Wenn das Wertebewusstsein wiederkommt, wird sich automatisch vieles ändern.
Ich bin zuversichtlich, aber wir dürfen die Herausforderungen nicht unterschätzen. Sie sind riesig, und das betrifft nicht nur das Klima. Auch ohne das Klima wären die Herausforderungen groß. Das muss man sich bewusst machen.
Björn, ich danke dir für deine Zeit und die interessanten Einschätzungen.