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War die Zukunft früher einfach besser?

Unser Zuhause ist Ausdruck unseres Lebensstils, es prägt unseren Alltag und bestimmt unser Wohlbefinden. Mit der Wanderausstellung Home Stories. 100 Jahre, 20 visionäre Interieurs initiiert das Vitra Design Museum seit 2021 eine neue Debatte über das private Interieur, seine Geschichte und seine Zukunftsaussichten. Zuletzt war die Wanderausstellung im Möbelmuseum Wien zu sehen. Wir sprachen mit Jochen Eisenbrand, Chefkurator des Museums in Weil am Rhein, wie sich gesellschaftliche, politische und technische Veränderungen der letzten 100 Jahren in unserem Wohnumfeld widerspiegeln.

„Die Innengestaltung von Wohnraum ist unter allen Designdisziplinen vermutlich die populärste. Jeder wohnt, also geht das Thema auch jeden etwas an“, meint Jochen Eisenbrand, Chefkurator des Vitra Design Museums im einleitenden Text des Katalogs zur Ausstellung Home Stories.


Jochen Eisenbrand (*1970) ist Chefkurator des Vitra Design Museums in Weil am Rhein. Nach dem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg promovierte er 2013 an der Bergischen Universität Wuppertal. 

„Innerhalb der Architektur- und Designwelt selbst scheint die Innengestaltung heute allerdings eine etwas vernachlässigte Disziplin, die in Fachpublikationen relativ wenig besprochen wird –
vielleicht deshalb, weil sich neben anderem so viele Hochglanzzeitschriften als Forum dafür etabliert haben. Schaut man auf die letzten hundert Jahre zurück, erkennt man lange Zeitabschnitte, in denen das anders war.“

Wir haben mit Jochen Eisenbrand darüber philosophiert, was Wohnen und Interior eigentlich sind, welche gesellschaftlichen Strömungen und Menschen Veränderungen im Möbeldesign und Wohnumfeld erzeugt haben und welchen Stellenwert Inneneinrichtung in der heutigen Gesellschaft einnimmt. 

Nichts ist so alltäglich wie die Art und Weise, wie wir wohnen. Stimmt das, Jochen?

Ja, das stimmt! Gleichzeitig ist es etwas, was uns nicht immer gegenwärtig ist. Was uns alltäglich umgibt, das vergessen wir manchmal. Wir denken nicht weiter darüber nach.

Was bedeutet eigentlich Interior?

Interiors sind von Menschen geschaffene Räume. Das können Privatwohnungen sein, halböffentliche oder öffentliche Räume. Wir hier im Vitra Design Museum haben uns im Rahmen der Ausstellung Home Stories hauptsächlich für private Räume interessiert. Wenn es um Einrichtung geht, sind die Privaträume genau das, was die Endverbraucher:innen am meisten interessiert. Weil wir eben alle wohnen. Dafür spricht auch, dass es so viele Zeitschriften, Magazine, Blogs, Fernsehsendungen und Internetplattformen gibt, die sich mit dem Thema beschäftigen.

Eine ernsthafte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Wohnen, Einrichtung oder Interior findet zurzeit nicht statt. Das Vitra Design Museum hat mit seiner Wanderausstellung Home Stories einen Blick in die Vergangenheit gerichtet. Was hat unsere Einrichtung in den letzten 120 Jahren geprägt?

Es gab sehr viele unterschiedliche Einflussnahmen! Das Wohninterior war immer auch ein Ausdruck von Zeit- und Kulturgeschichte. Technische Entwicklungen haben es auf alle Fälle geprägt: Die Elektrifizierung, Heizung oder Warmwasser haben ihre Beiträge geleistet. Das mag profan klingen, aber das darf man nicht vergessen. Bautechnische Veränderungen haben auch ihren Einfluss gehabt. Heute kann man durch Stahlbetonbauweise die Räume viel großzügiger bauen als noch vor 150 Jahren. Auch sind die Räume durch große Fensterflächen viel heller geworden, weil der Fortschritt in der Bautechnik auch die Isolierung erheblich verbessert hat. Unser Fokus lag auf der Adaption von Entwicklungen außerhalb des Wohnens durch Architekt:innen und Designer:innen. Sie sahen, dass die Art und Weise, wie damals gewohnt wurde, nicht mehr dem entspricht, was technisch möglich wäre oder den Gepflogenheiten der Zeit entspräche. Einen weiteren Einfluss auf das Interior nahmen einige Künstler:innen, die häufig zu ihrer Zeit noch sehr außergewöhnliche Wohnformen geprägt haben. Wohnen und Arbeiten im Atelier wurde schon sehr früh gelebt. Auch das sehr individuelle Ausgestalten der Wohnung mit persönlichen Gegenständen, die etwas über die Person ausdrücken, die dort wohnt, wurde besonders von Künstler:innen gepflegt und hat erst nach und nach Einfluss in das Interior von normalen Bürger:innen gefunden. 

Das Konzept des Wohnens im Loft entstand beispielsweise in den 1960er-Jahren im New Yorker Stadtteil SoHo. In Gebäuden südlich der Houston Street, die vormals als Manufaktur oder Lager gedient hatten, richteten sich Künstler:innen zunächst ihre Ateliers ein und wohnten dort schließlich auch. Der Gründer der Kunstbewegung Fluxus, George Maciunas, kaufte in dem Viertel mehrere Häuser, vermietete sie an Künstler:innen und etablierte damit einen neuen, unkonventionellen Wohn- und Arbeitsstil.

George Maciunas

Der medienwirksamste und damit einflussreichste Prototyp des Lofts war jedoch die Silver Factory von Andy Warhol.

Andy Warhol

In der Ausstellung haben wir uns letztlich auf Architekt:innen fokussiert, weil sie eher bemüht waren oder die Hybris hatten, Lösungen zu finden, die ausdrückten: So müsst ihr alle wohnen. Wohingegen die Interior Designer:innen vielmehr für individuelle Auftraggeber:innen gearbeitet und besondere Lösungen entwickelt haben – für Leute, die es sich leisten konnten. Das fand ich bei der Erarbeitung des Ausstellungskonzeptes bemerkenswert, dass Architektur und Interior wie zwei parallele Stränge nebeneinanderher liefen. Bis in die 1970er-Jahre haben sich Architekt:innen sehr viel mit Interior beschäftigt und selbst auch viele Möbel entworfen. Das ist seit damals sehr viel weniger geworden.

Welche Künstler:innen, Designer:innen oder Gruppen waren das beispielsweise in den Jahren 1920 bis 1960?

Natürlich gibt es da einen gewissen allgemein-gültigen Kanon. Wir haben in unserer Ausstellung versucht, eine gewisse Balance herzustellen zwischen diesem Kanon und Menschen, die auch Einfluss genommen haben, aber nicht so bekannt waren. In den 1920er-Jahren war es vor allem Ludwig Mies van der Rohe mit seiner Idee des offenen Grundrisses.

Ludwig Mies van der Rohe

Fließende, offene Räume gehören zur Ikonografie des modernen Interieurs. Ermöglicht wurden sie durch Stahlskelettbau oder Eisenbetonrahmenkonstruktionen, wie sie seit Ende des 19. Jahrhunderts zunächst für Geschäfts- und Industriebauten verwendet wurden. Le Corbusier und Mies van der Rohe führten diese Konstruktionsweisen in den 1920er-Jahren auch im Wohnungs- und Hausbau ein.

Le Courbusier 

Eines der eindrucksvollsten Beispiele ist die Villa Tugendhat, mit deren Planung Mies 1928 von dem wohlhabenden Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat beauftragt wurde.

Die Wiener Wohnkultur mit Joseph Frank und Adolf Loos hat wichtige Beiträge geleistet, weil sie Vorstellungen von modernem Wohnen hatten, die nicht nur darin bestanden, Tabula rasa zu machen, sondern die versucht haben, kontrolliert aufzuräumen und darüber nachzudenken, wie Wohnatmosphäre entsteht. Raum nehmen wir mit allen Sinnen wahr. Die Erfahrung des Raums in der Bewegung, angeregt durch eine lebendige Raumplanung, war ein zentrales Anliegen des Wiener Architekten Frank. In seinem Aufsatz Das Haus als Weg und Platz von 1931 stellte er Bezüge zwischen dem Erleben eines Interieurs und der Erfahrung des Stadtraums her. Seine Thesen illustrierte Frank mit Abbildungen der Villa Beer in Wien, die er zuvor fertiggestellt hatte.

Alvar Aalto finde ich sehr wichtig mit seinen Einflüssen auf ein sehr menschliches warmes Interior, bei dem natürliche Materialien eine große Rolle spielen. Er hat mit unterschiedlichen Boden- und Deckenhöhen gearbeitet, um Geborgenheit zu erzeugen und zurück zum archetypischen Wohnen zu gelangen. In den 1950er- und 1960er-Jahren war es Alexander Girard, der sehr viel mit dekorativen Stoffen gearbeitet hat. Es ging ihm darum, auf kontrollierte Art Gegenstände zu zeigen. Seine Idee war, dass jede:r Kurator:in des eigenen Wohn-Interiors werden solle.

Alexander Girard
Girards unverwechselbaren Wodden Dolls

In den 1960er- und 1970er-Jahren war eindeutig Verner Panton ein wichtiger Ideengeber, weil er zum einen sehr viel mit Farbe gearbeitet und zum anderen spielerische Elemente integriert hat. Ihm ging es darum, verkrustete Gewohnheiten im Wohnen oder im Umgang mit Gästen aufzubrechen. Er wollte über die Möbel den gesamten Raum für neues Wohnen erschließen.

Haben wir nicht Ray und Charles Eames bei den Ikonen vergessen?

Das Ehepaar Eames darf man natürlich nicht vergessen. Seine Einflüsse gehen in eine ähnliche Richtung wie der Einfluss von Alexander Girard. Ray und Charles Eames haben den Begriff der functioning decoration geprägt – geplantes Dekorieren.

Charles und Ray Eames

Von den Pionieren der Moderne wurde das moderne Interieur als Befreiung verstanden – von gesellschaftlichen Konventionen, der Bürde der Repräsentation, von Nippes und Staubfängern und der Last schmutziger Hausarbeit. Doch moderne Gestaltung – nur als Stil verstanden – kann sich ins Gegenteil verkehren, wenn die Darstellung wichtiger wird als die Funktionalität.

Niemand hat das drastischer und humorvoller gezeigt als der Filmemacher Jacques Tati. Haupthandlungsort seines Films Mon Oncle ist die modernistische Villa Arpel. Hier leben Monsieur Arpel, der Generaldirektor einer Schlauchfabrik, seine Frau, ihr kleiner Sohn und ein Dackel. Das spartanisch eingerichtete Interieur der Villa und ihre vollautomatisierte Küche bilden mit dem geometrisch angelegten Garten eine aseptische Kulisse, die aber mitunter ein Eigenleben entwickelt: von unberechenbaren Küchengeräten über die Gartenfontäne, die nur bei Besuchern funktioniert, die willkommen sind, bis zum Gartentor, das sich nicht immer schließt und öffnet wie gedacht. In dieser klinischen Umgebung wird Monsieur Hulot, der Bruder von Madame Arpel, der in einem Altstadtviertel in einer Mansarde lebt, zum Störfaktor – und zum Verbündeten seines Neffen, der sich in seinem sterilen Zuhause langweilt. Mon Oncle gewann 1959 zu Recht den Oscar als bester ausländischer Film.

Szene aus Mon Oncle, Jacques Tati, 1558

Gab es auch politische Einflussnahmen in diesen Jahrzehnten?

Definitiv! Die beiden Supermächte Amerika und UDSSR pflegten zu Hochzeiten des Kalten Krieges einen Austausch von Ausstellungen. Wir präsentieren in unserer Ausstellung Home Stories das Projekt eines Fertighauses, das im Juli 1959 von den Amerikanern anlässlich der American National Exibition in Moskau gezeigt wurde. In einem Streitgespräch erörterten Richard Nixon und Nikita Chruschtschow die Vorzüge ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Systeme. Die Küche, in der die beiden Politiker diese Debatte austrugen, war eine von insgesamt vier Schauküchen. Der amerikanische Vizepräsident versuchte den sowjetischen Ministerpräsidenten anhand der Ausstattung der elektrischen Einbauküche, die von General Electrics stammte, vom höheren Lebensstandard in den USA und damit von der Überlegenheit des Kapitalismus gegenüber dem Kommunismus zu überzeugen. Das Haus, entworfen von dem Architekten Stanley H. Klein, wurde vom Büro von Raymond Loewy und dessen Mitarbeiter Andrew Geller eingerichtet, mit Möbeln aus dem Kaufhaus Macy’s. Das Haus mit der berühmten Küche sollte 12.000 US-Dollar kosten und damit für den Durchschnittsamerikaner erschwinglich sein. Amerikanische Zeitungen berichteten damals, dass die russische Nachrichtenagentur TASS höchst skeptisch reagiert und gemeldet habe: Dieses Haus ist so typisch für den amerikanischen Arbeiter wie das Taj Mahal für den typischen Weber in Indien oder der Buckingham Palace für den englischen Minenarbeiter.

Als kitchen debate wird eine ungewöhnliche Debatte zwischen Richard Nixon und Nikita Chruschtschow vor einer Ausstellungsküche bezeichnet. (AP Photo)

Aber eigentlich ist deine Frage eine, die immer wiederkehrt: Wie weit ist das Private vom Öffentlichen durchdrungen? Das ist auch heute eine wichtige Frage. Wir veröffentlichen unser Interior auf Instagram, wir demokratisieren und gestalten selbst die Grenzen fließender.

Ich erinnere mich, dass es im letzten Jahrhundert – gerade in den Nachkriegsjahren – die wichtigen großen Sprünge in der Entwicklung von Interior und Wohnraumlösungen gab, wenn wir zum Beispiel an Verner Pantons Visiona 2 denken. Ist es so, dass in diesen Jahren – bis in die 1970er-Jahre – die letzten großen, auch experimentellen Weichenstellungen bei Wohnraumlösungen vorgenommen wurden?

Visiona2, Verner Panton

Das deckt sich mit meinem Eindruck. Ab den 1970er-Jahren stelle ich auch ein Ende der großen Utopien fest. Die Ölkrise stellt vielleicht einen wichtigen Bruch dar. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass es heute nicht mehr möglich ist, Top-down Lebensraumkonzepte zu diktieren. Es ist nicht mehr möglich zu sagen: So wohnt ihr in Zukunft.

Oder war die Zukunft früher einfach besser?

Es war einfacher, sie zu imaginieren. Die Zukunft war früher spannender, weil sie physische Formen angenommen hat. Das Ausmaß der Digitalisierung hat sich früher niemand vorstellen können. Diese Entwicklung hat uns aber in den letzten zwanzig Jahren am stärksten geprägt und hat damit auch das Wohnen enorm geprägt.

Vor fünfzehn Jahren haben wir die Ausstellung Open House in Essen gemacht, für die wir verschiedene Architekturbüros gebeten hatten, Entwürfe zum Thema Wohnen in Zukunft zu fertigen. Wir waren sehr gespannt auf die Ergebnisse. Ein skandinavisches Büro entschied, nichts einzureichen, da sich nichts Wesentliches verändern würde. Die Digitalisierung sei das entscheidende Zukunftsthema.

Dennoch gab es beispielsweise mit der Memphis Group und DROOG Ende letzten Jahrhunderts und mit Established & Sons oder Marcel Wanders‘ moooi in diesem Jahrhundert noch letzte kreative Ausbrüche. Sie bleiben aber Ausnahmen. Seit den 1970er-Jahren gibt es bedauerlicherweise weltweit Einflüsse, die eine globale Vereinheitlichung von Wohnwelten zur Folge haben.

Man kann es als Demokratisierung von Interior auffassen. Jede:r kann seine Auffassung von Wohnen digital per Pinterest oder Instagram publik machen. Diese Tatsache ist auch einer der Faktoren, die heute zu dieser globalen Anpassung führen. Ein Unternehmen wie IKEA, das inzwischen fast auf der gesamten Welt mit kleinen regionalen Ausprägungen tätig ist, verbreitet weltweit einen einheitlichen Wohnstil.

Die Kenntnisse der Menschen über verschiedene Wohnstile, Designer:innen und Einrichtungsfirmen werden heute über Social Media verbreitet. Nehmen wir als Beispiel die Mid Century-Bewegung. Die Möbel und dieser Wohnstil sind vielen Menschen bekannt. Vor zwanzig Jahren war dieser Bereich für den Handel eher ein Nischengeschäft für Leute, die sich explizit mit Architektur und Design auseinandergesetzt haben.

In eurer Ausstellung zeigt ihr Beispiele für das gegenwärtige drastische Umdenken im Wohnbereich. Yojigen Poketto in Madrid von elii Architekten, die Antivilla von Brandhuber + Emde und das Granby Four Streets von Assemble in Liverpool sind aufregende Beispiele. Was lehren uns diese architektonischen Wohnlösungen?

Das sind drei Projekte, in denen es vornehmlich um die heute wichtige Ressource Raum geht. Wir Menschen werden auf diesem endlichen Planeten Erde immer mehr. In den Ballungsräumen der Städte wird Raum immer weniger und gleichzeitig teurer. Da muss man natürlich überlegen, wie wir mit dem uns bleibenden Raum effizient umgehen. Es geht um Nutzungskonzepte – um transformierbaren Raum. Das ist zwar nicht neu, und das hat es in der Geschichte schon häufiger gegeben. Beim Projekt Granby Four Streets ging es darum, bestehende Substanz zu erhalten und darauf hinzuweisen, dass es im Sinne der Nachhaltigkeit auch um die graue Energie geht, die in Bauten steckt.

Granby Four Streets Community Land Trust, Liverpool

Wenn du etwas abreißt und neu baust, dann musst du erst einmal wahnsinnig viel Energie hineinstecken, die sich dadurch, dass du energiesparender baust, erst nach einiger Zeit wieder amortisiert. Bei der Antivilla hingegen geht es um den Umgang mit Raum und Luxus. Auch hier gab es eine Umnutzung von bestehenden Räumen.

Ich höre sehr viel pragmatisches Denken heraus. Wo bleibt da die Lust an Interior, an kreativer Innenarchitektur?

Die spanischen Architekten von elii versuchen, die Lust darin zu sehen, wie wandelbar eine Einrichtung sein kann. Angesichts steigender Immobilienpreise und Mieten, vor allem in den Innenstädten, ist die effiziente Raumnutzung in Wohnungen, gerade auch im Bestand, ein wichtiges Thema. Das Büro elii hat sich seit seiner Gründung 2006 mit einer ganzen Reihe von Interior-Design-Projekten hervorgetan, bei denen häufig Einbauten und transformierbare Einrichtungselemente eine zentrale Rolle spielen. Die Innengestaltung des Apartments Yojigen Poketto in Madrid basiert auf zwei Grundideen. In die Wohnung mit 33 Quadratmeter Wohnfläche setzten elii einen L-förmigen Servicekern ein, in den Eingang und Garderobe sowie eine Küchenzeile integriert sind und der zudem jede Menge Stauraum bietet. Der zweite größere Eingriff der Architekten war die Anhebung des Schlafbereichs und des Bades um 90 Zentimeter. So entstanden zwei atmosphärisch unterschiedliche Raumzonen und weiterer Stauraum im aufgeständerten Boden sowie in der beweglichen Treppe zwischen beiden Zonen. Helle Oberflächen aus Holz und Linoleum sowie große Spiegel im Bad tragen dazu bei, dass der Raum trotz seiner geringen Grundfläche großzügig wirkt. Der Name des Projekts ist übrigens Programm: Yojigen Poketto verweist auf die Zaubertasche einer Anime-Figur namens Doraemon, die darin unendlich viele Dinge verschwinden lassen und wieder zum Vorschein bringen kann. 

Das Appartment Yojigen Poketto, Madrid

Aber richtig: Eine Besucherin der Ausstellung meinte kürzlich, dass solche Entwürfe einen diktatorischen Charakter hätten, weil man keine Freiheiten mehr hätte, sondern die Ordnung nicht zerstören dürfe, wenn man auf so engem Raum wohnt. 

Antivilla von Brandmeier + Emde

Die Präsentation der Antivilla hat schon etwas mit Lust zu tun, wenn man sieht, wie Brandmeier + Emde diese inszeniert. Der Schauraum hat auch fast etwas von einer Galerie mit sehr präzise ausgewählten Möbelstücken von bekannten und weniger bekannten Designer:innen und Künstler:innen. Ein Paar Worte zum Projekt: Von Ruinen geht immer eine besondere Faszination aus. Sie verkörpern Geschichte, sind von einer Aura der Vergänglichkeit umgeben und Projektionsfläche für das, was war, und das, was wieder entstehen könnte. Das Gebäude, um das es bei der Antivilla geht, ist die einstige Trikotagenfabrik Ernst Lück in Kramp-nitz, südwestlich von Berlin gelegen, und war nach der deutschen Wiedervereinigung und der Abwicklung des volkseigenen Betriebs dem Verfall preisgegeben. Der Architekt Arno Brandlhuber erkannte das Potenzial des zweistöckigen Kastens mit insgesamt 500 Quadratmetern Nutzfläche und schuf daraus ein Wohnhaus mit Künstlerateliers.

Unser Zuhause ist jetzt gleichzeitig Homeoffice, Fitnessstudio und Klassenzimmer. In etlichen Zoom-Meetings und Teams-Sitzungen schau- en wir in die intimen, meist inszenierten Rückzugsorte des Gegenübers. Wird sich dieser Umbruch auf die Einrichtung auswirken – auch außerhalb der Inszenierung –, oder bekommt es eine Selbstverständlichkeit?

Mein Eindruck ist, dass es schon etwas Selbstverständliches bekommen hat. Man hat ja auch die Möglichkeit, durch künstliche Hintergründe das Wohnumfeld auszublenden, wenn man möchte. Es ist eine Frage von Offenheit. Ich denke aber, jede:r hat in der Wohnung eine Ecke, in der sie oder er sich vorteilhaft präsentieren kann. Wenn man jeden Tag fünf oder sechs solcher Besprechungen hat, ist es einem allerdings irgendwann egal. Außerdem ist es mühsam, sich immer wieder aufs Neue zu inszenieren.

Auf der anderen Seite – und das wird vielen so ergehen – fallen einem, wenn man tagtäglich im Homeoffice sitzt, ungelöste Einrichtungsprobleme auf, die man ansonsten nicht wahrnimmt. (lacht) Aber das hat nichts mit Inszenierung zu tun, sondern eher mit selektiver Wahrnehmung. Aus diesem Grunde hat die Möbelindustrie von der Pandemie durchaus profitiert.

Minimalismus und Nachhaltigkeit sind aktuelle Stichworte bei Einrichtungsfragen. Was ist heute zukunftsweisende Architektur und visionäres Interior?

Ein wichtiger Aspekt ist, wie man Wohnen und Arbeiten zu Hause besser vereinbaren kann. Wer ein großes Haus hat, für den ist das kein Thema. Wenn man einen eigenen Raum als Büro zur Verfügung hat, stellt sich diese Frage nicht. Wenn man nicht diese Möglichkeiten hat, fehlen zurzeit noch Ideen für gute Lösungen. 

Ansonsten frage ich mich, ob im Zuge der Digitalisierung die übliche Konstellation Sofa und Fernseher nicht ausgedient hat. Aber das sind Details. Im Großen und Ganzen wird es auch in Zukunft darum gehen, ob Grundrisse von Wohnungen und Häusern noch unseren Lebensstilen entsprechen oder ob sie sich nicht wandeln müssen. Und was das Einrichten angeht: Da muss jede:r seine Homestory selbst schreiben.

Vielen Dank, Jochen, für die Rückblicke und dieses Gespräch.

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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.