Wie wollen wir in Zukunft leben und uns fortbewegen? Katja Diehl, Expertin für Mobilität und Autorin, spricht im Interview über die „Drei V“ der Mobilitätswende: Vermeiden, Verlagern, Verbessern. Dabei geht es ihr nicht nur um die Reduktion von CO2-Emissionen, sondern auch um Gerechtigkeit und Lebensqualität. Katja hinterfragt die tief verwurzelte Faszination für das Auto in unserer Gesellschaft und fordert eine radikale Neuausrichtung unserer Mobilitätskonzepte.
Katja, was verstehst du unter den Drei V der Mobilitätswende?
Die drei V – Vermeiden, Verlagern, Verbessern – sind eigentlich nichts Neues. Das Konzept ist schon lange bekannt, und es geht weniger um Erkenntnis, sondern vielmehr um die Umsetzung. Was mich besonders stört, ist, dass die Mobilitätswende oft nur auf CO2-Reduktion begrenzt wird, dabei geht es doch auch um Gerechtigkeit.
Das erste V steht für Vermeiden. Genau das machen wir gerade, indem wir unser Gespräch online führen, statt uns persönlich zu treffen. Viele meinen immer noch, sie müssten für ein einstündiges Meeting innerhalb Deutschlands fliegen. Dabei wäre es doch viel besser, solche Wege einfach zu vermeiden – das spart am meisten CO2.
Das zweite V bedeutet Verlagern. Statt zu fliegen, könnten wir auf den Zug umsteigen. Ich persönlich habe mittlerweile richtig Gefallen am Zugfahren gefunden. Zum Beispiel nach Wien mit dem Nachtzug – ich spare eine Hotelübernachtung, komme morgens entspannt mitten in der Stadt an und muss mich nicht durch den Stress des Flughafens kämpfen. Das ist nicht nur bequemer, sondern reduziert auch den CO2-Ausstoß.
Das dritte V ist Verbessern – und das ist der Punkt, der oft am meisten fasziniert. Hier geht es um Dinge wie autonomes Fahren und elektrische Antriebe. Aber das bringt uns bei weitem nicht so viel, wie Wege zu vermeiden oder den Verkehr zu verlagern. Trotzdem warten viele Menschen auf diese eine revolutionäre Technologie, die alles verändern soll – aber darauf warten wir schon seit mehr als zehn Jahren. Was wir wirklich tun sollten, ist, jetzt zu vermeiden und zu verlagern.
Wenn man sich die immer weiter steigenden Emissionszahlen im Verkehrssektor ansieht und beobachtet, dass Autos immer zahlreicher und größer werden, könnte man meinen, den Menschen fehlt die Vorstellungskraft, sich anders zu organisieren. Worin siehst du die Gründe für diese Entwicklung?
Das ist tatsächlich ein spannendes Thema. Hätte man mich vor sieben Jahren, als ich in die Selbstständigkeit ging, gefragt, hätte ich wahrscheinlich auch nicht geahnt, wie tief verwurzelt die Faszination für das Auto in unserer Gesellschaft ist. Ich habe in vielen Bereichen der Mobilität gearbeitet, abseits des Autos, und dennoch bin ich immer wieder auf Menschen getroffen, die eine starke Fixierung auf das Auto hatten – selbst wenn sie eigentlich für Busse und Bahnen verantwortlich waren.
Wir müssen anerkennen, dass das Auto in der Geschichte Deutschlands eine besondere Rolle gespielt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in einem moralisch und physisch zerstörten Deutschland, symbolisierte das Auto den Wiederaufbau. Städte wurden autogerecht geplant, der Traum vom Eigenheim, importiert aus den USA, prägte das Denken. Diese Eigenheime wurden nicht in der Stadt gebaut, sondern in Vororten, was dazu führte, dass Wege entstanden, die oft nur mit dem Auto zurückgelegt werden konnten. Die Nahversorgung haben wir dabei losgelassen.
Heute sieht man, dass der durchschnittliche Deutsche für ein neues Auto rund 44.000 Euro ausgibt – das ist nach der Immobilie die zweitgrößte Anschaffung im Leben vieler Menschen, und sie ist auch noch mobil. Ein Auto ist längst mehr als ein Fortbewegungsmittel; es ist ein Lifestyle-Objekt geworden. Das Auto vermittelt einen ersten Eindruck, bevor der Mensch überhaupt aussteigt. Menschen wählen Autos, die ihren Lebensstil ausdrücken – es geht nicht mehr nur um Mobilität.
Wir können uns aktuell kaum vorstellen, dass unser Leben ohne das Auto besser sein könnte. Die emotionale Bindung, die viele Menschen zu ihrem Auto haben, habe ich zwar geahnt, aber doch stark unterschätzt. Interessanterweise werde ich oft als ideologisch oder emotional abgestempelt, weil ich das in Frage stelle. Dabei fühle ich mich manchmal wie das Kind im Märchen Des Kaisers neue Kleider, das einfach ausspricht, was es sieht: Aber der Kaiser ist doch nackt. Das ist unangenehm, weil es die Illusion aufdeckt, der viele glauben. Aber ich denke, es ist notwendig, diese klaren Stimmen zu haben, auch wenn das nicht immer einfach ist.
Und genau deshalb habe ich mein erstes Buch geschrieben – weil ich dachte, es müssen mehr Menschen aufstehen, die sehen, dass der Kaiser nackt ist. Lange Zeit fühlte ich mich wie eine einsame Stimme, und in dieser Rolle ist man natürlich angreifbar. Man wird isoliert und erhält Hasskommentare. Neulich gab es eine Sendung, in der ich neben anderen zu den Bedrohungen interviewt wurde, die uns treffen, weil wir diese klaren Aussagen machen, die andere gerne umgehen oder vertuschen.
Ich bin diejenige, die nicht schweigt und auch mal unbequem ist. Gerade erst neulich habe ich auf einem meiner Social-Media-Kanäle einen Beitrag zum größten Marketing-Kongress, OMR, gepostet, bei dem Qatar Airways eingeladen war – ein Unternehmen, das eine starke Lobby für fossile Energien darstellt. Gleichzeitig sprechen dort aber auch Politiker wie Robert Habeck. Das ist ein Widerspruch, den ich nicht unkommentiert lassen kann. Es ist wichtig, dass wir genau hinschauen und hinterfragen, wer solche Plattformen nutzt und welche Botschaften wirklich gesendet werden.
Aber Robert Habeck hat immerhin gesprochen – und, wie ich finde, gut gesprochen.
Ja, das stimmt. Auch Luisa Neubauer war dabei und hat sich klar positioniert. Aber leider ist nichts passiert, und die Veranstaltung wird weiterhin von Unternehmen wie Audi gesponsert. Natürlich finde ich es gut, dass Habeck solche Dinge anspricht, keine Frage. Aber ich denke fast, dass er in anderen Räumen noch mehr bewegen könnte – dort, wo Menschen mit Angst sitzen, wo vielleicht auch die Bildung nicht so hoch ist.
Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Für mich geht es bei der Mobilitätswende nicht nur darum, wie wir in Zukunft fahren wollen, sondern vor allem darum, wie wir in Zukunft leben wollen. Das ist der eigentliche Kern der Mobilitätswende. Es geht darum, dass alle gut leben können, auch diejenigen, die keinen Führerschein haben oder einfach nicht Auto fahren wollen. Ich wünsche mir für diese Menschen eine gute Mobilität, und dafür müssen viele auch bereit sein, Privilegien abzugeben. Denn Privilegien sind kein Grundrecht – niemand hat ein Recht auf einen Parkplatz vor der Tür oder auf eigene Fahrspuren, nur weil er ein Auto fährt. Das versuche ich deutlich zu machen.
Natürlich komme ich damit schnell auf Themen wie Intersektionalität und Gerechtigkeit – und das ist für viele, die sehr technokratisch denken, sperrig. Das sind Menschen, die nie gelernt haben, dass es Solidarität braucht, dass Mitgefühl notwendig ist. Und da werde ich oft als untechnisch angesehen, obwohl ich mich in der Materie gut auskenne und zwölf Jahre Berufserfahrung habe. Ich möchte mit Menschlichkeit agieren, und das ist für viele schwer zu akzeptieren.
Ja, genau. Und dass Autos fahren als sexy empfunden wird, ist Fakt. Das kriegt man auch nicht so einfach aus den Köpfen der Menschen heraus. Deshalb ist mein Ansatz, die Alternativen so attraktiv wie möglich darzustellen. Wenn wir uns beeindruckende Gegenbewegungen wie die Mikromobilität anschauen – also Fahrräder und Ähnliches – dann sind das doch Entwicklungen, an die man sich anhängen könnte. Ein Fahrrad kann ja auch sexy sein, oder?
Ich denke tatsächlich, dass es vielleicht ein Fehler war, Mobilitätsalternativen als genauso sexy wie ein Auto darzustellen. Viele der Sharing-Anbieter sind damit angetreten, zu behaupten, ihre Angebote könnten das Auto gleichwertig ersetzen. Aber wenn jemand diesen inneren Wert eines Autos als Teil seiner Identität braucht, dann wird er das Auto nicht einfach gegen ein Fahrrad eintauschen. Der wird vielleicht im Urlaub ein Fahrrad mieten und dann auf Instagram posten, wie toll das ist, fährt aber mit dem Auto an den Urlaubsort.
Ein Beispiel für eine andere Herangehensweise habe ich in Paris gesehen: Dort herrschte eine gewisse Lässigkeit, die ich beeindruckend fand. Businessleute, die am Anfang und Ende ihres Arbeitstages ihr Handy zücken und lässig mit schicken Anzügen und Hemden auf Elektrorollern durch die Stadt fahren. Dort gibt es sichere Radwege, und das schafft eine Umgebung, in der auch Eltern mit Kindern oder Jugendliche unbesorgt unterwegs sein können. Diese Lässigkeit in der Mobilität ist es, die wir brauchen, und ich glaube, sie wird nicht allein über das Produkt erreichbar sein.
Natürlich gibt es progressive Menschen, die solche neuen Mobilitätsformen sofort annehmen – die „Early Adopters“. Ich selbst habe ein Fahrrad, das 3.000 Euro gekostet hat. Aber das hat nichts damit zu tun, dass ich Autos weniger sexy finde, sondern vielmehr damit, dass ich es für absoluten Unsinn halte, 100 Euro im Monat für ein Auto auszugeben, das die meiste Zeit nur herumsteht.
Und genau diese Irrationalität zu überwinden, wird ein großer Aufwand sein. In anderen Ländern geht man schon etwas lässiger mit Mobilität um.
Ja, genau. Und diese Lässigkeit lässt sich ja auch durch Kommunikation vermitteln. Die Medien tragen ihren Teil zur Verzögerung der Transformation bei, indem sie oft noch an alten Bildern festhalten. Aber sollten sie nicht eher journalistisch konstruktiv arbeiten und Lust auf grüne Städte, entschleunigtes Leben und eine andere Art der Mobilität machen?
Ich würde sogar noch viel höher ansetzen. Um ehrlich zu sein, erwarte ich mehr von Politikern wie Volker Wissing. Ich erinnere mich an ein absurdes Dinner, zu dem ich eingeladen war. Ich habe die Einladung angenommen, weil ich dachte, es braucht vielleicht auch mal andere Stimmen in dieser Runde – es waren nämlich hauptsächlich Vertreter der Automobilindustrie dort. Unter den Gästen waren auch Joschka Fischer und Nico Rosberg, der das Greentech Festival veranstaltet, das ich allerdings stark kritisiere, weil es oft als Greenwashing-Event wirkt.
Während des Dinners hielt Fischer eine sehr bewegende Rede über die Krise Europas. Es waren Leute von Audi und anderen großen Konzernen anwesend. Neben mir saß eine Frau von einem Institut, das sich stark mit Mobilität in urbanen Räumen beschäftigt. Wir schauten uns an und fragten uns, worüber hier eigentlich geredet wird.
Rosberg kam später dazu, weil sein Flieger aus Monaco Verspätung hatte, und ich dachte nur: „Warum bleibst du nicht einfach zu Hause, statt für so ein Event extra zu fliegen?“
Aber Rosberg sagte etwas Interessantes: Er meinte, wenn der Verkehrssektor wirklich so wenig CO2 einspart, dann müsse die Bundesregierung eine große Kampagne starten, um die Menschen, die aufs Auto verzichten könnten, aber es nicht tun, zum Umdenken zu bewegen. Eine Kampagne, die zeigt, wie wichtig es ist, auf das Auto zu verzichten.
Ich sehe das also nicht nur als Aufgabe der Medienlandschaft. Es ist eher eine Aufgabe der Politik. Wenn man sich Städte wie Paris ansieht, wo die Idee der 15-Minuten-Stadt umgesetzt wird – übrigens ein alter Begriff, der jetzt mit Carlos Moreno verbunden wird – sieht man, wie man durch klare Kommunikation und Visualisierung Menschen für eine Vision gewinnen kann. Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat das in Paris sehr geschickt gemacht: Sie hat nicht nur darüber gesprochen, sondern sofort gezeigt, wie solche Viertel aussehen könnten, mit Begrünung und Wasserflächen. Sie hat die Menschen mitgenommen, und Paris ist heute eine Stadt, in der mehr Fahrräder als Autos unterwegs sind.
Das ist das, was ich mir von der Bundesregierung wünsche: Visionen, die greifbar und erlebbar gemacht werden. In Barcelona hat man die Superblocks auf ähnliche Weise eingeführt, indem man den Bürgern die Möglichkeit gab, ihre eigenen Viertel mitzugestalten. Das sind die Beispiele, an denen wir uns orientieren sollten.
Oft folgt die Medienlandschaft der Politik und dem angeblichen Zeitgeist. Dabei merke ich immer wieder, wie Medien dieses Balancing betreiben. Es gibt dieses Gefühl, dass man alle Stimmen hörbar machen muss, obwohl die Faktenlage eigentlich klar ist. Bei Talkshows wie Markus Lanz sieht man das sehr oft.
Wie oft sehe ich im Fernsehen den Hinweis mit freundlicher Produktunterstützung von BMW. Das macht deutlich, wie abhängig die Medien von der Automobilindustrie sind – sei es durch Anzeigen oder Produktionsunterstützung.
Du hast völlig recht: Wir müssten andere Geschichten erzählen. Das Problem mit Formaten wie Wir können auch anders ist, dass sie oft elitär wirken. Sie erreichen nicht die Menschen, die noch nicht überzeugt sind, sondern eher diejenigen, die ohnehin schon auf dem Weg sind.
Ich stelle mir vor, dass in jeder Redaktion jemand darauf achtet, dass in jedem Artikel auch ein Klimabezug hergestellt wird, wo immer das möglich ist. Stell dir zum Beispiel vor, du liest einen Artikel über ein ausverkauftes Taylor Swift-Konzert in Hamburg, und es wird nebenbei erwähnt, welchen CO2-Abdruck so ein Event hat und wie oft sie mit dem Flugzeug unterwegs ist. So etwas könnte langfristig das Bewusstsein verändern.
Klar, das leuchtet ein. Um jetzt unseren Beitrag zu leisten: Du hast Barcelona und Paris erwähnt. Nenn mir einmal deine fünf liebsten Vorbilder – Orte, Städte, Menschen, die wirklich etwas vorangebracht haben.
Ich finde zum Beispiel Nordhorn sehr interessant. Da war ein Stadtbaurat namens Meier, der es geschafft hat, den Radverkehrsanteil enorm zu pushen, viele Städte liegen deutlich darunter. Er ist jetzt in Osnabrück tätig, und ich bin gespannt, wie sich die Stadt unter seiner Leitung entwickelt.
Was hat er erreicht?
Er hat in Nordhorn einen Model Split Anteil von 40 Prozent für den Radverkehr erreicht. Das ist beachtlich, vor allem wenn man bedenkt, dass viele Städte unter zehn Prozent liegen. Nordhorn war eine Stadt in der Krise, weil die Textilindustrie zusammengebrochen ist. Meier, der Stadtbaurat, hat die Stadt vorwärts bringen wollen und gesagt: „Wir entwickeln nicht nach außen.“ Anstatt neue Baugebiete zu erschließen, hat er sich darauf konzentriert, die bestehenden Brachflächen zu nutzen. Er ließ Luftaufnahmen machen, um herauszufinden, wo es ungenutzte Flächen gibt, und hat dort Wohnraum geschaffen.
Er hat die Stadt von innen heraus entwickelt, die Wege kurz gehalten und sich überlegt, wie er das Radfahren attraktiver als das Autofahren machen kann. Zum Beispiel führte er die Radwege am Wasser entlang – ähnlich wie in den Niederlanden. Das schafft eine schöne und praktische Verbindung – die Radwege sind grün und angenehm zu fahren, und das hat die Menschen dazu gebracht, umzusteigen.
Auch Hannover ist ein gutes Beispiel. Dort arbeiten Stadt und Region zusammen, um die autofreie Stadt zu verwirklichen. Leider hat das dazu geführt, dass die SPD aus der Fraktion ausgetreten ist, ohne eigene Vision, nur mit der Aussage: „Das wollen wir nicht.“ Trotzdem macht Hannover weiter und setzt erste Maßnahmen um, wie das Schnellwegesystem für Fahrräder, das auch in der Region genutzt werden kann. Außerdem hat die Region Hannover das größte On-Demand-Bus-System Europas eingeführt, das mittlerweile täglich von 4.000 Menschen genutzt wird. Auch wenn Volker Wissing die Förderung gestrichen hat, haben sie beschlossen, es trotzdem weiterzuführen – das finde ich sehr vorbildhaft.
Und sind die Menschen in Hannover damit zufrieden? Spürt man positive Resonanz?
Das ist natürlich der Punkt. In unserer Bubble der Veränderungswilligen ist die Motivation, sich zu äußern, oft gering. Diejenigen, die keine Veränderungen wollen, gehen zu allen Verkehrsausschüssen, schreiben Leserbriefe und sind laut, während diejenigen, die Veränderungen wollen, oft still am Frühstückstisch sitzen und sagen: „Das wird schon.“
Der Bürgermeister von Nordhorn erzählte mir, dass er, bevor die Maßnahmen umgesetzt wurden, mit seiner Familie sechs Wochen an einem geheimen Ort leben musste und Polizeischutz hatte. Ein Journalist von einer großen Zeitung wollte am Tag der Umsetzung einen Bericht machen, und der Bürgermeister fragte: „Wie viele Farbbeutel werde ich wohl auf meinem Anzug haben?“ Doch als er auf dem Fahrrad ankam, applaudierten die Leute und sagten: „Guter Job!“ Da fragte er sie: „Warum habt ihr nicht vorher eure Stimme erhoben, als ich bedroht wurde?“ Ihre Antwort war: „Wir fanden das doch gut.“
Jeder sollte seinen Teil beitragen – sei es durch Leserbriefe oder durch das Einbringen von Ideen. Wir müssen die Leute wieder daran erinnern, wie Demokratie funktioniert, und sie politisch aktivieren.
Genau, das ist wichtig. Wir haben über Hannover und Nordhorn gesprochen – was ist mit Leipzig?
Leipzig ist natürlich auch ein interessantes Beispiel. Oberbürgermeister Burkhard Jung hat angekündigt, dass er nach dieser Amtszeit nicht wieder antritt. Das gibt ihm die Freiheit, Dinge zu tun, die andere vielleicht aus Angst vor den nächsten Wahlen nicht wagen würden. Er hat gesagt: „Jetzt packe ich das an!“ Als ich ihn fragte, ob er das auch gemacht hätte, wenn es um eine Wiederwahl ginge, meinte er: „Nein, wahrscheinlich nicht.“ Das ist eine wichtige Erkenntnis – viele wollen lieber wiedergewählt werden, als die Welt zu verändern. Aber Jung hat seinen Auftrag, die Stadt zu gestalten, ernst genommen.
Ein Beispiel dafür erlebte ich persönlich bei der Velo-city in Leipzig, einem großen Radverkehrskongress. Da gab es richtig Zoff im Stadtparlament, und Jung hielt eine leidenschaftliche Rede gegen CDU und AfD, die sich wie immer gegen Veränderungen stellten. Er fragte: „Wollen wir provinziell bleiben, oder wollen wir eine Stadt, die nach außen ausstrahlt?“ Es ging um eine einzige halbe Autospur, die für Radfahrende grün gestrichen werden sollte – und trotzdem war das eine Riesensache. Als ich danach durch die Stadt lief, kam ich an dieser grünen Spur vorbei und dachte: „Dafür gab es jetzt diesen ganzen Ärger?“
Und dann erlebte ich etwas Interessantes: Ich nahm ein Taxi und der Fahrer begann sofort, über diesen Radweg zu schimpfen. Ich fragte: „Aber hier gibt es doch unzählige Autospuren, was ist das Problem?“ Er meinte, zweimal am Tag würde es hier Stau geben. Das zeigt, auf welchem Niveau die Diskussionen oft geführt werden.
Viele ziehen jetzt nach Leipzig, weil Berlin nicht mehr so attraktiv ist. Jung will die Lebensqualität weiter verbessern.
Gibt es abgesehen von Politikern Menschen aus der Zivilgesellschaft oder Unternehmer, die ebenfalls inspirierende Ideen umsetzen, möglicherweise sogar gegen Widerstände?
Ja, da gibt es einige. Zum Beispiel im Landkreis Leer, dort haben zwei Jungs ein Rufbus-System während der Pandemie etabliert. Ihr System war so erfolgreich, dass es nicht nur für den Transport genutzt wurde, sondern auch für Essenslieferungen und Supermarkteinkäufe. Eltern setzten ihre Kinder in den Bus, weil die Fahrt nur 2 Euro kostete, und sagten: „Das rechnet sich für uns.“
Leider gab es Widerstand von der Politik, die wieder ein herkömmliches Linienbussystem einführen wollte. Doch die Bürgerinitiative setzte sich für den Erhalt des Rufbussystems ein, besonders ältere Menschen und Jugendliche ohne Führerschein sind darauf angewiesen. Es ist inspirierend, wie diese beiden es geschafft haben, mit einer simplen Idee so viele Menschen zu erreichen.
Ein anderer spannender Akteur ist Florian Wahlberg, der viel in Sachen Sharing und Scooter macht. Wahlberg ist jemand, der Mobilität wirklich multimodal denkt.
Es gibt Initiativen wie Changing Cities in Berlin und die Sozialhelden – rund um das Thema Inklusion sehr inspirierend. Außerdem finde ich die „freien Lastenräder“ eine tolle Initiative. Das sind nur weinge von vielen, die gerade besonders inspirierend sind.
Katja, vielen Dank für deine Zeit und dieses Gespräch!