Laut AD ist der Münchner Stefan Diez einer der wichtigsten Kreativen, Architektur & Wohnen kürte ihn 2022 zum Designer des Jahres. Diez rückt bei seinen Entwürfen das Thema Nachhaltigkeit mehr und mehr in den Fokus. „Nachhaltigkeit ist schwierig, weil eigentlich alles, was wir produzieren, irgendwo einen gewissen Schaden verursacht oder zumindest eine Auswirkung auf den Verbraucher und die Umwelt hat“, sagt Diez. „Wir sollten uns die Dinge, die wir machen, gut überlegen. Anstatt laufend Zwischenlösungen anzubieten, die die Sachen nicht wirklich auf den Punkt bringen.“ Zu Ende gedacht hat Diez zum Beispiel seinen Entwurf für die Leuchte Ayno für Midgard und wurde dafür mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design 2021 in der Kategorie Vorreiter ausgezeichnet.
Stefan, meine erste Frage nimmt deine Kundschaft ins Visier. Damit meine ich nicht die Möbelindustrie, sondern Leute, die sich einrichten wollen. Die meisten kennen dich als Designer für Möbel, obwohl du auch Entwürfe für Geschirr vorgelegt hast. Die Erwartungen der jüngeren Kundschaft an Interior Design, an Möbel und Einrichtung, haben sich verändert: Nachhaltigkeit spielt eine besondere Rolle, auch Fairness in der Produktion. Nimmst du das so auch wahr? Wie würdest du deine Zielgruppe beschreiben?
Wie fange ich am besten an, darauf zu antworten? Ich kenne unsere Endkund:innen natürlich nicht wirklich! Das sind Ausnahmen, wenn ich gelegentlich etwas davon mitbekomme. Und es freut mich natürlich, wenn ich bei Bekannten ein Stück von mir entdecke.
Nichtsdestotrotz stelle ich mir die Menschen vor, die Interesse an meinen Projekten und Produkten haben könnten. Eine Imagination davon zu haben, wie die Menschen denken und welche Ideen sie leiten, ist für mich der richtige Weg. Also nicht zu sagen: Was muss ich machen, damit es verkauft wird? Ich stelle mir einfach Leute vor – meistens sind es Menschen aus meinem Umfeld, die ich im Kopf habe oder mit denen ich mich umgebe – und spüre, dass mir deren Vorstellungen und Bedürfnisse etwas bedeuten. Aber wie man meine Zielgruppe exakt beschreiben könnte, damit das in so ein Marketing-Diagramm passt, das weiß ich nicht.
Ist es eine neue Ethik des Designs, etwas zu entwerfen, herzustellen und produzieren zu lassen, was nachhaltigen Zielen Rechnung trägt?
Die Branche ist in Bewegung. Ich weiß nicht, ob du meine Rede in der Paulskirche in Frankfurt anlässlich des sechzigsten Geburtstags vom Rat für Formgebung vor etwa zehn Jahren gehört hast. Ich habe damals die Gelegenheit beim Schopf gepackt – ich wusste, dass da die deutsche Industrie versammelt war – und ein bisschen ausgeteilt. Was ich allen vorgeworfen hatte, war, dass sie es sich im Zuge der Globalisierung sehr bequem gemacht haben und träge geworden sind. Sie haben ihre alten Ideen, die alle aus den 1980er-Jahren stammten, einfach immer weitergetragen, dafür ein neues Publikum gefunden und die gleichen alten Marketingtricks angewendet. Irgendwie haben sie es geschafft, den Konsument:innen alte Luxusbegriffe zu verkaufen. Dabei haben sie aus den Augen verloren, dass hierzulande eine Avantgarde sitzt, die ganz gerne an neuen Konzepten gearbeitet und auch was zu erzählen gehabt hätte. Diese Generation ist aber nicht mehr zu Wort gekommen. Sie wurde einfach nicht gesehen, weil sie unbequem war. Ich glaube, die Situation war – rückblickend gesehen – wahrscheinlich noch viel dramatischer, als ich es damals gesehen hatte.
Gibt es eine große intellektuelle Wandlung bei den Designer:innen?
In meiner Generation gibt es nicht mehr diesen Wunsch, etwas wirklich Verrücktes zu machen, etwas zu machen, was vielleicht unangepasst ist. Ich kann das auch irgendwie nachvollziehen. Wenn man wenig Geld in seinem Beruf verdient, dann springt man natürlich nicht so weit. Es macht mehr Spaß zu fordern, wenn man weiß, man kann sich aus dem Fenster lehnen, weil man eine finanzielle Sicherheit hat. Ich weiß, dass das nicht immer einfach ist, Geld mit dem Job, den wir machen, zu verdienen.
Es gibt aber doch ein paar verrückte Leute wie die Campana-Brüder für Edra, Marcel Wanders, Nils Holger Moormann oder Established & Sons, die verrücktes Zeug machen.
Marcel Wanders ist eine Generation vor mir, Nils Holger Moormann und Konstantin Grcic im Grunde genommen auch. Ich gehöre zu denen, die danach kamen. Aber was auffällt, ist, dass die Produkte von Marcel Wanders und vielen seiner Generation nicht mehr wirklich am Markt als Avantgarde wahrgenommen werden. Nils Holger hat seinen Laden verkauft. Er war, als ich Student war, weit und breit wirklich einer der ganz, ganz wenigen, die so konsequent auf dieses Theater auf Messen, die Verschwendungssucht bei Messeständen à la Kartell und Established & Sons hingewiesen haben. Es wurde viel Wind um das Thema Design gemacht.
Das Unternehmen Established & Sons versuchte tatsächlich, einen Cappellini–Hype neu zu erfinden und zu entfachen – zehn Jahre später. Das Unternehmen ist danach, soviel ich mitbekommen habe, mit über dreißig Millionen Euro Verlust dagestanden. Man hatte geglaubt, es sei nur eine Frage der Big Names und ordentlicher Anfangsinvestitionen, um so etwas völlig Verrücktes zu starten. Der Investor, der hinter dieser Firma steckte, hat sich in der Wirtschaftskrise – eine naheliegende Spekulation: wegen seiner Schulden – das Leben genommen.
Die Generation Cappellini hat seinerzeit deswegen so gut funktioniert, weil es Anfang der 2000er-Jahre die New Economy Bubble gab, die dann aber ab 2003 vorbei war. Und das ist jetzt genau die Generation nach 2006, von der ich spreche: Es ist kein Zufall, dass von den großen Büros der damaligen Zeit praktisch nichts übriggeblieben ist. Die machen alle irgendwie noch irgendetwas – aber so richtig im Saft, wo es kracht, ist kaum ein Unternehmen.
Hat uns die Globalisierung um die Avantgarde gebracht?
Der Diskurs fehlt, den wir alle in einem kleineren gesellschaftlichen Rahmen gewohnt waren zu führen. Wenn du als deutscher, italienischer oder französischer Hersteller irgendetwas machen wolltest, dann hast du eine:n französische:n, deutsche:n, englische:n oder japanische:n Designer:in gebucht. Da hat ein Diskurs stattgefunden. Diese Leute waren extrem wichtig, um einen Luxusbegriff, eine Zukunftsvision oder Avantgarde immer wieder neu zu verhandeln. Es ist ja keine Sache, die man einmal festlegt, und dann war’s das. Die Menschen, die darüber nachdenken und sich für diese Art von Gedanken einsetzen, leben davon, dass sie von ihren Auftraggeber:innen alimentiert werden.
Wenn es den Firmen aber vorrangig um Umsatz geht, dann war und ist es schlichtweg einfacher, die Ideen von gestern an ein Publikum in Russland, in China, in Kasachstan und in der Türkei zu verkaufen. Und da waren plötzlich Leute, die sehr viel Geld mit der Produktion von diesem ganzen Schrott verdient haben. Dass in China die Post abgegangen ist, liegt ja nicht zuletzt daran, dass die halbe, nein, die ganze Welt dort produziert hat.
Hat denn niemand darüber nachgedacht, dass da etwas ganz Wertvolles an Disput fehlt?
Wen interessierte es denn, wenn Konstantin Grcic, den ich wahnsinnig schätze, die Meinung äußerte, dass das alles Schwachsinn ist, was da gemacht wird? Oder wenn Nils Holger Moormann sich hinstellt und sagt: Bullshit! Und daneben Kartell den vergoldeten Plastikstuhl von Philippe Starck auf den Markt bringt, der sich wahnsinnig gut an billige Restaurants verkaufen lässt.
In the long run hat der eine Umsatz gemacht, der andere nicht. Und deswegen habe ich damals in Frankfurt diesen Vorwurf formuliert: Wenn ihr so weitermacht, dann vertrocknet die Avantgarde in der Wüste oder in der staubtrockenen Nische, wie ich es genannt habe.
Und so ist es gekommen?
Ich denke, zum Teil ja. Wir sind jetzt zehn Jahre später an einem Punkt, an dem wir eine interessante Situation erkennen können. Die Industrie merkt gerade mit zehn bis fünfzehn Jahren Verspätung, dass es wirklich Schwachsinn war, die Produktion auszulagern und den Konsum so hochzufahren. Heute findet man nicht einmal mehr einen Schreiner, der einem einen Stuhl reparieren kann – entweder weil die Reparatur viel zu teuer wäre bei einem so minderwertigen Produkt oder weil der Schreiner nicht die Fähigkeiten dazu hat. Das sind die Folgen davon und die Realität.
Plötzlich aber gibt es eine neue gesellschaftliche Gemengelage, vor der wieder neue sinnvolle Ideen entstehen können. Mein Optimismus speist sich aus der Gewissheit, dass ewig lange lineare Produktionsketten in absehbarer Zeit abgeschafft werden. Da
bin ich mir wirklich sicher – das ist keine self-fulfilling prophecy. Wenn man sieht, wie die Politik an verschiedenen Stellen einfach aufsteht und beispielsweise beschließt, dass man 2030 ohne fossile Energien im Straßenverkehr auskommen will, dann macht das Mut. Von diesem Narrativ kommen wir nicht mehr zurück.
Denkst du, dass die Möbelindustrie in Deutschland, Italien, England oder Schweden nach diesen zehn Jahren besser aufgestellt ist?
Ich glaube, sie muss sich komplett neu erfinden. Wo ist denn der Moormann von heute? Wo ist das Vitra von heute? Vor zehn Jahren noch war der Vitra-Stand einfach ein gesetzter Termin auf den Messen, genauso wie Flos ein gesetzter Termin war. Man hat Moormann angeschaut und Moroso. Es interessiert heute aber nicht mehr. Ich will nicht sagen, dass diese Marken heute völlig uninteressant sind, aber es ist doch nicht mehr das Gleiche wie vor Ende 2005.
Welches sind denn heute die Nachfolge-Marken von moooi, Zanotta, Cappellini, Moroso oder Vitra? e15 vielleicht, für die du die Stuhl-Serien Houdini und This That Other entworfen hast?
e15 hat sich ziemlich gut durchgeschlagen und erarbeitet auch gerade wieder Projekte mit jungen Designer:innen. Daneben entstanden aber auch viele Reeditionen ehemaliger Architekt:innen – das war nicht wirklich etwas Neues. Wir selber haben mit dem Houdini eines meiner wichtigsten Projekte zusammen mit e15 realisiert.
Seit zehn Jahre gibt es zum Beispiel ein neues Label: Dante Goods & Bads. Das geht seit Jahren kontinuierlich einen eigenständigen Weg.
Wir sind als Diez Office ein bisschen weitergezogen. Wir haben uns um neue Firmen gekümmert, mit denen wir in Zukunft arbeiten wollen. Ich habe schon damals, als es bei mir anfing loszugehen, ganz bewusst nicht lange für Vitra oder andere Große gearbeitet. Wir hatten uns daher entschieden, mit Wilkhahn zusammenzuarbeiten. Nicht etwa, weil ich Wilkhahn cooler fand, sondern weil es mir damals irgendwie komisch vorkam, dass sich bei so wenigen Firmen so gut wie alle namhaften Designer:innen tummeln – wie in einem viel zu vollen Karpfenteich. Was wäre da meine Position als Neuankömmling? Das kam mir sehr unlogisch vor.
Ich habe lieber versucht, mit Firmen zu arbeiten, die eher hungrig waren und von denen ich auch mehr Unterstützung bekommen habe.
Man darf nicht vergessen, dass Wilkhahn den Universalstuhl Chassis gebaut hat, der zwar mit Sicherheit kein Kassenschlager war, aber trotzdem für mich eines meiner wichtigsten Projekte. Es war ein Ermächtigungsprojekt: Wir können auch als kleines Büro einen Stuhl völlig neu denken. Nämlich einen aus Blech! Wir waren der Meinung, es sollten mehr Stühle aus Blech und weniger aus Kunststoff gemacht werden. Was macht es für einen Sinn, sich die Mühe zu machen, den Kunststoff recycelbar zu entwickeln, während man Blech einfach mit dem Magneten aus dem Schrott rausziehen kann? Das Ding ist wunderbar recycelbar! Und der Blechstuhl kostet auch nicht viel mehr als Kunststoffstuhl.
Das hat uns Spaß gemacht, daran zu arbeiten. Es hat nur damals niemanden interessiert. Chassis war einfach hundert Euro teurer als ein vergleichbarer Plastikstuhl. Nicht jeder Weg funktioniert.
Aber zurück zu deiner Frage: Wer sind die neuen Edras und Morosos? Es wird vielleicht noch ein bisschen dauern, bis sie wieder da sind.
Wir sind zum Beispiel mit der Firma Wagner aus Augsburg sehr glücklich. Gemeinsam mit diesem Unternehmen haben wir das Dondola-Sitzgelenk weiterentwickelt und in die Stuhl-Familie D1 übersetzt. Wagner ist natürlich kein Moroso und kein Magis und auch kein Edra. Wagner ist einfach ein gutes mittelständisches Unternehmen, das genügend Umsatz mit einem gewissen konventionellen Portfolio macht, aber weiß, dass es weiterwill und -muss. Die haben das Potenzial, diesen Prozess in einem breiteren Maße umzusetzen und eventuell mehr Leute zu erreichen als eine ganz spitze kleine Firma, die gerade mal drei Millionen Euro Umsatz macht.
Du hast im letzten Jahr den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design in der Kategorie Vorreiter erhalten.
Ja, und dieses Jahr war ich in der Jury zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design 2022. Besonders interessant an den Jurysitzungen fand ich die Diskussionen, was denn eigentlich wirklich Zukunft ausmacht und bestimmen wird. Welche Technologien setzen sich durch? Da gibt es völlig unterschiedliche Positionen und wirklich gute Leute, die sich mit der Materie auskennen.
Unsere Leuchte Ayno, mit der wir 2021 den Preis gewonnen haben war dieses Jahr supererfolgreich. Auch mit einer kleinen Firma wie Midgard kann man wirklich super Projekte machen. Die Leuchte sieht man an jeder Ecke, sie ist in jedem Einrichtungsmagazin vertreten.
Ich freue mich einfach, weil schon das Briefing von Midgard so symptomatisch war. Wann kriegt man denn als Designer:in schon mal die Gelegenheit, für eine Firma etwas zu entwerfen, die fünfzig Jahre lang nichts mehr entworfen hat? Das ist quasi die Aufforderung schlechthin, mal alles zu vergessen, was man über die Evolution der Lampengeschichte weiß.
Insofern war die Entwicklung der Leuchte ein Meilenstein für uns. Wenn man vor dem Hintergrund des Briefings anfängt, Recherche zu betreiben, dann sieht man, dass die Evolution der Leuchten nichts anderes als eine Spielart der Physik ist, nämlich den Kopf möglichst geschickt oder clever in Position zu halten, quasi die Schwerkraft auszutricksen. Das hat offensichtlich provoziert, dass man mit einer völlig einfachen radikalen, vielleicht auch naiven Lösung daherkommt. Das Kabel wickeln wir um den Stab herum und ziehen den Lampenkopf wie einen Fisch an der Angel heran. Das ist möglich, weil die LEDs und die Kühlkörper vor allem praktisch nichts mehr wiegen.
Als die Leuchte vorgestellt wurde, habe ich mich an unsere Design Guidelines erinnert, die wir bisher in unserem Studio benutzt haben. Man konnte diese Design Guidelines, die wir aufgestellt haben, an dieser Leuchte unglaublich gut erklären.
Das ist damals bei e15 auch so gewesen, als wir den Houdini gemacht haben. Es freut mich, manchmal diese Gelegenheit der Carte Blanche zu bekommen, diesen Nullpunkt, diese drei Schritte zurück.
Gemeinsam mit Magis – wieder einem der größeren Player – hast du vier Jahre lang ein Sofa der nächsten Generation entwickelt. Besticht das Costume Sofa auch durch Nachhaltigkeit?
Magis ist nicht groß, eher ein Scheinriese, der nur deswegen so groß wirkt, weil er gute Sachen gemacht hat. Aber auf dem Weltmarkt sind sie einfach nur ein Staubkorn. Unter den Büromöbelherstellern ist in Deutschland tatsächlich Vitra der größte. Aber der größte von allen ist sowieso Ikea. (lacht)
Für das Costume Sofa haben wir die Grundstruktur eines Sofas neu gedacht. Alles begann mit einer einzelnen Einheit. Basierend darauf kann das Sofa vielseitig erweitert und kombiniert werden. Die Konstruktion besteht vollständig aus widerstandsfähigem Recycling-Polypropylen. Die Bezüge lassen sich leicht wechseln. Mir kam es auf besondere Langlebigkeit des Produktes an – dafür haben wir vier Jahre entwickelt.
Was können junge Designer:innen mit ihren grün-fairen Designideen heute anders machen, um sich durchzusetzen? Ist die Ausbildungssituation in den Hochschulen darauf vorbereitet?
Die Ausbildung hängt nicht immer nur von der Ausstattung der Hochschulen ab, sondern auch vom Personal. Es hat sehr viele vormals erfolgreiche oder bekannte Designer:innen, die ihren professionellen Beruf irgendwann einmal an den Nagel gehängt haben, in die Lehre verschlagen.
Konstantin Grcic macht seit, glaube ich, mehr als einem Jahr in Hamburg etwas – das ist sehr gut.
Es gibt fantastische digitale Werkzeuge, mit denen sich die Studierenden einfach selbst etwas beibringen können. Es gibt für fast alles eine YouTube-Anleitung. Die ambitionierteren dieser Studierenden sind heute fit in der Programmierung, sie können g-codes und Arduino programmieren und Raspberries installieren. Sie wissen auch, wie man HTML und diverse JavaScripts erstellt und sind wirklich in der Lage, all diese Dinge miteinander zu vernetzen und zu verrückten Sachen zu machen. Sie können auch einen Roboter steuern. Das ist schon megacool.
Sie treffen jetzt auf ein Wirtschaftssystem, was total verunsichert ist. Jahrelang, nein, jahrzehntelang hat sich das System linear zu einem unglaublich effizienten zwar, aber sehr wenig nachhaltigen Konstrukt entwickelt, das über kurz oder lang heftig unter Druck geraten wird. Was erfolgreiche Firmen heute auszeichnet, ist, dass sie sehr lange Wertschöpfungsketten – vom Abbau der Rohstoffe über die Verarbeitung hin zum Verkauf – kontrollieren. Apple oder Nike kontrollieren diesen Prozess sehr lange. Diese Firmen werden natürlich überlegen müssen, wie sie das Ganze kreislaufmäßig schließen. Als großes Unternehmen bist du flexibler, aber du bist auch angreifbar und schnell eine Projektionsfläche für Kritik. Nike hat es grad schwer, weil sie einerseits versprechen, dass sie ihre Schuhe recyceln, und dann andererseits bei einer Recherche herauskommt, dass das gar nicht Fall ist. Der Konsument wird kritischer und lässt sich nicht mehr allzu leicht einen Bären aufbinden. Greenwashing hat schnell auch seine Grenzen. Konsument:innen sind irgendwann auch mal aufgeklärt.
Kannst du dir vorstellen, dass Deutschland oder Europa Vorreiter sein kann, was faires Produzieren angeht?
Das würde mich sehr freuen. Und das wäre auch nicht ausgeschlossen. Ich glaube, dass Europa die Energie, die Infrastruktur und vor allem immer noch das Gedankengut hat. Hier gibt es schon die Leute, die, glaube ich, vordenken. Die Europäische Union ist immer noch eines der spannendsten politischen Experimente aller Zeiten. Ich meine, das hat es wirklich noch nie gegeben, dass souveräne Staaten freiwillig Macht an eine übergeordnete Struktur abgeben. Das ist wirklich beispiellos. Von dieser Konstruktion können Signale ausgehen, die weniger auf nationalen Egoismen beruhen. Es mag naiv klingen, ist aber eher Optimismus. Es ist einfach so. Neufassungen von Abfallwirtschaftsgesetzen, glaube ich, sind auf nationaler Ebene nicht wirklich umsetzbar. Dafür, dass Brüssel so weit weg ist, hat es an vielen Stellen eine eigenartige, interessante Souveränität.
Es war letztes Jahr auch sehr auffällig, dass das Bundesverfassungsgericht die Klimapolitik gemacht hat.
Ja, beispielsweise. Es ist sehr stark kritisiert worden – und auch zu Recht kritisiert worden. Nicht das Verfassungsgericht ist kritisiert worden, die Politik ist kritisiert worden. Es kann nicht sein, dass man ein Gericht braucht, um Politik zu machen. Das Gericht ist nicht mal demokratisch vom Volk gewählt. Und dass so eine Institution letztendlich eine sehr weise Entscheidung trifft und sagt: Wenn ihr versprecht, in 2050 CO2-neutral zu sein, und 2032 einen Kohleausstieg haben wollt, dann müsst ihr sofort beginnen und nicht erst in den letzten zwei Tagen.
Diese Art zu denken führt dazu, dass heute Jurist:innen darüber nachdenken, die Natur oder einen Teil der Natur zu Rechtssubjekten zu machen. Das ist meines Erachtens Neuland, dass man einem Wald, einem Gewässer oder einem Meer ein subjektives Recht zubilligt. Das sind die Sachen, die jetzt ermutigend sind.
Seid ihr mit eurer Art zu designen zufrieden?
Wir haben es bei dem Sofa für Magis und bei der Leuchte für Midgard geschafft, dass all unsere Kriterien, die wir für nachhaltige Produkte für wichtig erachten, erfüllt wurden. Das sind handfeste Vorteile, die man sofort erklären kann.
Ich war erst sehr schüchtern mit unseren Designguides, weil ich es ein bisschen vermessen finde, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen. Es war aber auch spaßig, sich auf die Zehn Thesen für gutes Design von Dieter Rams zu beziehen. Ich wollte darauf Bezug nehmen und sagen: Hey, man muss nach fünfzig Jahren schon einmal neu denken, was so als Maßstab gelten sollte. Unser Handeln – das, was ich im Studium mache – sollte irgendwie in den Zusammenhang mit einer Zukunft, von der wir reden, gestellt werden. Langer Rede, kurzer Sinn: Aus dieser ganzen Geschichte ist letztendlich ein Manifest geworden, einfach nur dadurch, dass es, wenn wir es auf der Internetseite veröffentlichen, in Zukunft für jedes Projekt das Subbriefing bildet. Wenn wir heute Projekte starten, sprechen mich unsere Kund:innen an und sagen: Hey, Stefan, mach’s bitte genau so! So wollen wir, dass unsere Produkte funktionieren.
Könnte das die kulturelle Identität von europäischem Design werden?
Ich glaube ja. Ich glaube, dass es hier Leute gibt, die so etwas verstehen und sich an etwas Erstrebenswertes erinnert fühlen.
Es gab am Anfang, kann ich mich erinnern, in den Schulen oft die Diskussion, was mache ich denn eigentlich als Designer:in, wenn ich fertig bin?
Der übliche Plan war, während des Studiums möglichst wenig Industrieprojekte zu machen, weil das die einzige Zeit war, wo man vielleicht noch verrückt sein kann. Die meisten Student:innen haben wenig optimistisch auf diese Zukunft gesehen. Bin ich später wirklich wirkmächtig? Kann ich überhaupt etwas ausrichten mit meinem Tun? Und ich glaube, das hat sich jetzt schon geändert. Und dazu dienen Beispiele wie das Sofa oder auch andere Projekte von anderen Kolleg:innen. Die sind plötzlich ermutigend.
Wen gibt es denn da noch außer dir?
Ich habe einen Kollegen in Wien, Harald Gründl, von dem ich sehr viel halte, weil er so ernsthaft und schon sehr lang dabei ist. Er macht es auch ein bisschen aus einer anderen Perspektive, macht eher Grundlagenforschung.
Ich habe bisher keine Förderung beansprucht, weil ich immer dachte, ich kann es irgendwie aus dem System heraus machen. Harald ist da andere Wege gegangen und auf andere Ideen gekommen. Die finde ich eben sehr spannend. Die EOOS–Geschichten sind schon interessant. Und Nils Holger Moormann hat schon sehr früh klar gesagt, um was es ihm geht.
Was ich bei ihm sehr beeindruckend fand, war, dass er auch Vorreiter im Bereich Nachhaltigkeit und Regionalität war.
Das ist das, was ich meine. Da gab es weit und breit eben keinen. Niemand da. Aber meine Student:innen machen kein einziges Projekt mehr, bei dem es nicht genau darum geht. Dabei geht es nicht nur um Sustainability oder Säkularität, sondern es geht um Fragen wie Generationengerechtigkeit.
Stefan, vielen Dank für deine Zeit und dieses Gespräch.