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Sind die Inseln noch da oder sind sie schon weg?

Das Wetter kann sich schnell ändern. Wir können gerade einen heftigen Wolkenbruch erleben und ein paar Minuten später scheint wieder die Sonne. Klima ist dagegen ein langfristiger Zustand. Es bezeichnet den typischen Wetterverlauf an einem bestimmten Ort oder in einer Region, gemessen über einen Zeitraum von mindestens dreißig Jahren. Betrachten wir den ganzen Erdball, so sprechen wir vom globalen Klima. Der menschengemachte Klimawandel hat innerhalb kürzester Zeit Wetterphänomene hervorgebracht, die von Wissenschaftler*innen seit Jahrzehnten vorhergesagt wurden. Fragen wir Sven Plöger, wie die weiteren Aussichten sind. 

Sven Ploeger, 54, ist Diplom-Meteorologe und Fernsehmoderator. Rund um die Themen Wetter und Klima hat er mehrere Sachbücher geschrieben, Fernsehdokumentationen gedreht und hält häufig Vorträge dazu. Zudem moderiert er zahlreiche Fernseh- wettersendungen in der ARD. Fotografie: Sebastian Knoth

Der heißeste Tag in Nordfinnland, fast fünfzig Grad auf Sizilien und in Kanada, seit sechs Jahren wieder Waldbrände in Kalifornien, heute in der Türkei und in Griechenland. Brände, die kaum zu löschen sind. Tagelange Regengüsse und Hochwasserkatastrophen mit vielen Toten in Rheinland-Pfalz und NRW, in Wallonien in Belgien, später in Bayern und Sachsen. Herr Plöger, sind das noch einzelne Wetterphänomene oder kann man mit einiger Gewissheit sagen, dass wir den Klimawandel grad zunehmend zu spüren bekommen?

Wenn ich die kürzeste Antwort meines Lebens geben soll: Ja, das ist der Klimawandel, Punkt. Alles andere ist Herumgerede. Für sich genommen sind das natürlich alles einzelne Ereignisse, aber da Klima ja eben die Statistik des Wetters ist, kann man das natürlich nicht voneinander entkoppeln. Die Veränderung des Wetters schlägt sich also in seiner Statistik nieder und das nennen wir dann Klimawandel. Ein Einzelereignis bleibt folglich immer ein Wettergeschehen, doch wir müssen es in den Kontext setzen. Die Häufung und die Art, wie sich diese Ereignisse zeigen – gerade die jetzigen Hitzewellen und die Hochwasserkatastrophen –, sind ganz klar durch den Klimawandel getriggert. 

Lytton in Kanada mit 49,6 Grad Celsius war Anfang Juli in aller Munde. Lytton liegt auf dem 50. Breitengrad – so wie zum Beispiel Frankfurt am Main. 49,6 Grad im Schatten: Das ist sehr viel mehr, als man jemals in dieser Gegend gemessen hat – der alte Rekord wurde quasi pulverisiert.

Aber zurück zu Ihrer Frage: Es gibt die sogenannte Attributionsforschung, die Zuordnungsforschung. Da stellt man sich die Frage, wie stark ein Wetterereignis durch den Klimawandel getriggert wurde. Wie wahrscheinlich ist es, dass so ein Ereignis ohne den Klimawandel zustande kommt, und wie wahrscheinlich wird es durch die derzeitigen Veränderungen? Ein Team um Friederike Otto an der Universität Oxford hat seine Untersuchungen zu Lytton bereits abgeschlossen. Es hat den Faktor 150 errechnet. Das heißt, dass dieses Wetterereignis durch den Klimawandel 150-mal wahrscheinlicher war als ohne Erderwärmung. Schon eine Verdopplung, also der Faktor zwei, wäre massiv, aber die Zahl 150 führt – richtig interpretiert – zu diesem Satz: Ohne den derzeitigen Klimawandel hätte es diese Hitze dort nicht gegeben! 

Dr. Friederike Otto (*1982 in Kiel) ist eine deutsche Klimatologin. Sie leitet geschäftsführend das Environmental Change Institute der University of Oxford, darüber hinaus ist sie Mitglied des internationalen, unabhängigen und nicht-kommerziellen Forschungsnetzwerks Climate Strategies.

Die Hitzewelle im Jahr 2019 in Deutschland, bei der wir am 25. Juli flächendeckend über vierzig Grad Celsius gemessen hatten, war durch den Klimawandel um den Faktor zehn, in manchen Gegenden um den Faktor dreißig erhöht. 

Im norwegischen Lappland zeigte Ende Juni das Thermometer für den Ort Banak 34,3 Grad Celsius an. Wie der schottische Meteorologe Scott Duncan auf Twitter bemerkte, seien solche Temperaturen noch nie zuvor nördlich des 70. Breitengrades gemessen worden. Im nördlichsten Lappland 34,3 Grad Celsius! Das muss man sich einmal vorstellen. 

Die Häufigkeit von solchen Ereignissen und die gleichzeitig deutliche Abnahme von Kälterekorden auf dieser Welt sind ein Indiz für den Klimawandel. 

Ein langjähriger Abgeordneter des britischen Unterhauses und Kabinettsminister in den Regierungen Thatcher und John Major sagte: „Was macht ein Grad mehr schon aus? Ich bin bei minus fünf Grad von London aus in den Urlaub geflogen und in Sri Lanka gelandet. Das war ein Temperaturunterschied von vierzig Grad – und es hat mir nicht geschadet.“ Um es richtig einordnen zu können: Was bedeuten ganz konkret eins Komma fünf Grad mehr als in der vorindustriellen Welt, was zwei, was drei oder vier Grad Celsius mehr? 

Dieses Zitat ist natürlich die dümmstmögliche Aussage, weil es schlicht zeigt, dass dieser Minister nicht in der Lage ist, Klima und Wetter auseinanderzuhalten. Das ist so ähnlich als würde man beim Rechnen Plus und Minus verwechseln oder Fußball nach Handballregeln spielen – mit der Begründung, beides sei ein Ballsport. Drum nochmal: Klima ist die Statistik des Wetters und Wetter ist das tägliche Geschehen. Das ist wie beim DAX. Die Kurve kann bisweilen stark ausschlagen – sie kann trotz einer stetigen Aufwärtsbewegung einmal zwei oder drei Tage nach unten zeigen. Der tägliche Börsenkurs ist quasi das Wetter, die von Börsianern typischerweise genutzte 200-Tage-Trendlinie wäre in der Analogie das Klima.

Um ein Gefühl für Klimaveränderungen zu bekommen, fangen wir einmal mit vier Grad an. Was bedeuten vier Grad mehr? Weil ich kein Freund von dystopischen Zukunftsgeschichten bin, drehe ich das einmal um: Was bedeuten vier Grad weniger? Wie waren die Verhältnisse vor 11.000 Jahren am Ende der letzten Eiszeit? Da hatten wir einen um vier Grad kälteren Planeten. Auf einer vier Grad kälteren Erde sieht man keine Alpentäler, weil sie alle voller Eis sind. Das ist eine ganz andere Welt – niemand würde in den Alpen leben können. Berlin würde 500 Meter unter Eis liegen – ist auch eine andere Welt. Die städtische Geschäftigkeit würde sich ganz anders darstellen. (schmunzelt) In Skandinavien wäre man zwei bis drei Kilometer unter dem Eis – dort, wo man neulich am Nordkapp 34,3 Grad Celsius gemessen hat. Städte wie Boston oder New York wären anderthalb Kilometer unter dem Eis. Der einfache Satz lautet also: Eine vier Grad kältere Welt war eine vollkommen andere als unsere heutige. Deswegen lautet die Antwort auf Ihre Frage: Eine vier Grad wärmere Welt wäre eine vollkommen andere als unsere heutige. Der Unterschied ist nur, dass die Natur 11.000 Jahre für diese Veränderung gebraucht hat. Wir Menschen schicken uns durch unsere Treibhausgasemissionen an, diese Entwicklung auf 100 Jahre zu beschleunigen. Ein normalerweise 11.000 Jahre andauernder Prozess verdichtet auf 100 Jahre. Das ist auch der Unterschied zwischen diesem Klimawandel und den übrigen Klimaveränderungen auf dieser Welt: Es geht derzeit viel schneller! Wenn man sich  Jahrmillionen anschaut, wenn man die Kontinentalverschiebungen sieht, als Europa noch auf Höhe von Afrika lag, wenn man die Veränderungen der Erdbahn um die Sonne betrachtet, dann ist es ja vollkommen klar, dass sich Klima immer wieder etwas ändern muss.

Wir haben aber die Aufgabe, unsere Klimabetrachtungen aus gesellschaftlicher Sicht anzustellen. Das Problem für uns Menschen ist, dass wir 100 Jahre immer noch als ziemlich lange empfinden. Aus erdgeschichtlicher Sicht sind aber selbst 11.000 Jahre sehr kurz und 100 Jahre sind maximal ein Augenzwinkern. 

Kurzum: Eine vier Grad wärmere Welt wäre eine ganz andere als die heutige – mit vielen Veränderungen für Fauna, Flora und auch uns Menschen. Wir müssen uns den neuen Gegebenheiten anpassen. Es gibt viele Parameter, die man sich dazu anschauen muss. Ungefähr 180 Millionen Menschen leben beispielsweise unterhalb von einem Meter über dem Meeresspiegel. Wenn der bis Ende dieses Jahrhunderts um einen Meter klettert, dann kann man sich vorstellen, was das für diese Menschen bedeutet. Sie müssen weg dort. 

Und wenn man wegmuss, muss man irgendwohin. Und da, wohin man ginge, wäre dann schon jemand. Und schon hätte man ein Problem. Es wird deutlich, dass der Klimawandel mit vielen krassen Veränderungen verbunden ist. 

Schauen wir uns den Unterschied zwischen anderthalb und zwei Grad Temperaturerhöhung an und blicken dafür auf den nordöstlich der Fitschiinseln gelegenen Inselstaat Tuvalu. Dorthin wurde ich vor einigen Jahren zu einer „fünfminütigen Audienz“ beim Premierminister Enele Sopoaga eingeladen.

Enele Sopoaga (*10. Februar 1956 auf Nukufetau, Tuvalu) ist ein tuvaluischer Diplomat und Politiker. Von 2013 bis 2019 war er Premierminister seines Landes.

Wir verstanden uns – aus unterschiedlichen Lebenswelten kommend – so gut, dass unser Treffen weit mehr als eine Stunde dauerte. Sopoaga erklärte mir den Unterschied zwischen anderthalb und zwei Grad mehr mit der Frage: Sind die Inseln noch da oder sind sie schon weg? Damit meinte er nicht, dass die Inseln dann unter Wasser lägen, sondern dass sie unbewohnbar würden durch die Stürme, die den Lebensraum der Menschen immer häufiger überfluten würden. Für den Präsidenten und seine Inselbewohner stellt es sich so dar: „Wir müssen unsere Heimat verlassen, weil man anderswo in der Welt nicht solidarisch mit uns ist.“

Ein Vortrags-Chart von Prof. Volker Quaschning zeigt Gegenden, in denen in absehbarer Zeit an 365 Tagen im Jahr mehr als 40 Grad Celsius sein werden.

Damit werden diese Lebensräume für den Menschen unbewohnbar. Wir können uns auf Völkerwanderungen einstellen. Mit welchen gesundheitlichen Folgen des Klimawandels ist zu rechnen? 

Wenn wir auf der Erde für immer größere Gebiete sorgen, die unbewohnbar sind, dann schließt sich aus, dass wir dort leben. Unbewohnbar ist unbewohnbar. Wir können auch nicht auf dem Mond aus der Raumkapsel aussteigen und rumlaufen – da sind wir sofort tot. 

Der Mensch ist zwar in der Lage, sich an klimatische Gegebenheiten zu gewöhnen. Würden wir beide jetzt spontan ins tiefste Grönland versetzt und würden mit den dortigen Inuits zusammenleben, dann hätten wir anfangs ein ziemlich großes Problem, weil wir ein solches Klima nicht gewöhnt sind. Oder jemand, der als Nomade in der Sahara unterwegs ist, ist natürlich andere Verhältnisse gewohnt als wir. Man siedelt sich an, man lernt mit der Umwelt zu leben und kommt damit klar. Aber es gibt Grenzbedingungen. Wenn der Körper nicht mehr in der Lage ist, durch die Möglichkeit des Schwitzens herunterzukühlen, ist eine solche Grenze überschritten. Dann bleibt nur die Möglichkeit, seine Zeit in klimatisierten Räumen zu verbringen. Wenn Sie hinausgehen, werden Sie das nicht überleben. 

Durch all diese Dinge haben wir eine Verengung unseres Lebensraums – mit den daraus resultierenden Problemen.

Sind diese Zusammenhänge allen klar?

Es gab einmal den berühmten Satz: „Es hat niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ Der Satz von Walter Ulbricht. Ich habe neulich umformuliert: „Es hat niemand die Absicht, unsere Atmosphäre zu verschmutzen.“ Will heißen: Jeder von uns emittiert ein klein wenig und schaut dabei nur auf diesen winzigen Anteil. Der ist immer nahezu bedeutungslos und so argumentiert auch jeder von uns meist.
„Was spielt meine kleine Emission schon für eine Rolle – ich kann eh nichts am Ganzen ändern, auf mich kommt es ja nicht an“. Niemand – drum der Satz oben – sagt das mit böser Absicht oder möchte der Umwelt bewusst Schaden zufügen. Es passiert unabsichtlich dadurch, dass eben 7,8 Milliarden mal ein kleiner Schaden am Ende doch ein großer Schaden ist. Das ist keine außergewöhnlich neue Feststellung, aber wir übersehen das im Alltag immer wieder, weil wir da oft nicht auf das große Ganze schauen. 

Wir vergessen einfach zu addieren. Dieses Additionsproblem führt zum Beispiel auch zu dem aus meiner Sicht komplett kuriosen Satz, den zuweilen auch durchaus durch Klugheit auffallende Menschen immer wieder mal von sich geben: „Deutschland emittiert ja nur zwei Prozent des weltweiten CO2, und deswegen können wir ja so richtig nichts dafür. Jetzt müssen erst einmal die anderen ran.“ 

Das ist einfach zu kurz gesprungen. Wir sind mit diesen zwei Prozent nämlich das Land mit der sechsthöchsten CO2-Emission der Welt. Da es aber 194 Länder gibt, bedeutet das auch, dass 188 Länder weniger emittieren als wir. Wenn wir also sagen, unser Anteil sei so gering, dann können das die 188 Länder hinter uns ganz sicher auch sagen. Ein lautes gemeinsames „Wir sind´s mal nicht Schuld“ von 188 Ländern hat fast etwas von einem Schildbürgerstreich. Deswegen ein einfacher Gedanke: Wenn man einen Kuchen backt und dann knapp 200 Gäste einlädt, wird es zwingend so sein, dass jedes Kuchenstück klein ist. Jeder bekommt dann eben rund 0,5 Prozent vom Kuchen und wenn Deutschland ein 2-Prozent-Stück bekommt, ist das eben nicht wenig, sondern viermal mehr als einem zustände. 

Spätestens jetzt wird klar, dass das Länder-Denken ohnehin unsinnig ist. Dass China mehr emittiert als Luxemburg ergibt sich ja irgendwie von selbst, denn es kommt ja nun mal auf die Anzahl der Menschen im Land an oder anders ausgedrückt: Man muss natürlich die Emissionen pro Kopf und Jahr vergleichen: Da liegt der Deutsche bei knapp neun, der Inder bei zwei, der Chinese auch „nur“ bei knapp sieben, der Amerikaner bei etwas über fünfzehn, die Menschen in Burundi aber nur bei 0,03 Tonnen. Also sind 293 Hutu oder Tutsi aus Burundi gleich ein Deutscher. 

Am Ende müssten wir uns trauen zu sagen, dass für unseren Lebensstil zu viele Menschen auf dieser Erde leben. Eine zentrale Fragestellung an die sich kaum jemand herantraut. In meinem aktuellen Buch Zieht Euch warm an, es wird heiß habe ich diesem Thema einen langen, differenzierenden Abschnitt gewidmet. Wo ist der Weg zwischen „zu viele“ und „ungeeigneter Lebensstil“ muss eine wichtige Frage lauten. Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen darf derzeit jedenfalls jeder Mensch maximal zwei Tonnen CO2 emittieren.

Vielen Menschen ist inzwischen klar, dass wir ein Klimaproblem haben.

Ja, aber es fehlt Detailwissen. Sir Francis Bacon hat mal gesagt „Wissen ist Macht“, dreht man es herum kommt „Unwissen ist Ohnmacht“ heraus und das beschreibt unsere Situation ganz gut. Eine Gesellschaft braucht Wissen, um vernünftig zu agieren. Halbwissen, Vermutungen und die Hoffnung, dass sich fast alle Wissenschaftler*innen versehentlich gemeinsam irren, sind nicht zielführend, wenn man mit einer existierenden Bedrohung umgehen will. Gerade auch die Medien müssen diesem wichtigen Thema den nötigen Raum geben. Wenn der Wunsch nach extrem kurzen Erläuterungen für ein so komplexes Problem Missverständnisse för-
dert, statt sie zu beseitigen, dann haben wir wenig gewonnen.

Jetstream, Quelle: NASA

Mit welchen Veränderungen im Weltklima ist noch zu rechnen? Man liest in letzter Zeit häufiger, dass sich die Atlantischen Umwälzströmungen (AMOC) verändern und der Golfstrom kurz vor dem Kipppunkt steht. Gibt es auch Veränderungen von Luftbewegungen?

Die gibt es! Beim Klimawandel denken wir immer an Zahlen wie 1,5 oder 2 Grad mehr, wenn wir Klimaschutz betreiben und an 3,5 oder 4 Grad mehr, wenn wir nichts unternehmen. Das ist aber das geringere Problem. Das größere sind die Veränderungen der Zirkulation, also der Luftströmungen, weil sich die Erde in verschiedenen Regionen unterschiedlich erwärmt: Wasser langsamer als Land. Auch das Eis auf diesem Planeten – beziehungsweise sein Verschwinden – hat riesige Auswirkungen. Weniger weißes Eis heißt, dass darunter eine dunklere Fläche erscheint, die weniger Sonnenenergie reflektiert. Plötzlich bleibt also viel mehr Energie, spricht Wärme im Erdsystem. Und die energetischen Unterschiede auszugleichen ist der stete Versuch der Atmosphäre – nur deshalb bewegt sich Luft, der Ursprung von Wind und Wetter. Irgendwo ist zu viel Wärme, irgendwo ist zu wenig. Die Physik hat etwas Großartiges an sich: Sie will immer Unterschiede ausgleichen. Die Gesellschaft funktioniert oftmals genau umgekehrt. (lacht) Die, die zu wenig haben, müssen es denen geben, die eh schon zu viel haben. Man sollte von der Physik lernen! 

Herr Plöger, Sie sind ja Kommunist!

Ach? Aber dann unabsichtlich! Ich bin einfach nur für den Ausgleich und finde es unfair und unpraktisch, Ungerechtigkeiten immer weiter zu vergrößern. In unserer heutigen Welt besitzen die 85 reichsten Menschen genau so viel wie die 3,5 Milliarden (kein Sprechfehler!) ärmeren Menschen. Was soll das? Das ist doch vollkommen absurd. 

Aber zurück zum Thema: Den Ausgleich zwischen dem warmen Äquator und dem kalten Pol will der Jetstream – oder auf Deutsch der Strahlstrom – herstellen. Das ist ein Starkwindband  in rund zehn Kilometern Höhe. Er mäandert etwa zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Breitengrad auf der Nord- und auch auf der Südhalbkugel. Schauen wir für uns auf die Nordhalbkugel: Je größer die Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Pol, desto schneller bewegt sind das Windband mit seinen Wellen. Nimmt der Temperaturunterschied nun ab, weil sich der Pol übermäßig erwärmt, dann nimmt im Mittel eben auch der Wind ab. Die Wellen, nach dem schwedischen Meteorologen Carl-Gustaf Rossby Rossby-Wellen genannt, ziehen dann langsamer und weil unter jedem Wellental, also jeder Ausbuchtung nach Süden, ein Tief steckt und unter jedem Wellenberg (Ausbuchtung  nach Norden) ein Hoch, bleiben diese länger bei uns. Lange ein Tief vor Ort bedeuten aber viel Regen und nachfolgend Hochwassergefahr und lange ein Hoch bedeuten Hitze und Dürre. Diese beiden gegenteiligen Wetterlagen sind also zwei Seiten ein und derselben Medaille und das erklärt, weshalb unser Wettergeschehen immer extremer wird. Auch wenn etwa Gewittern der überlagerte Wind fehlt, der sie über das Land treibt, führt das zu extremerem Starkregen. Denn statt seinen Regen zu verteilen, landet nun alles Wasser quasi an derselben Stelle. Ich vergleiche das immer mit einem defekten Rasensprenger: Auf der einen Seite ist alles durchnässt, auf der anderen Seite vertrocknet der Rasen. Im Moment ist der durchnässte Boden bei uns, die Dürre in Westrussland. 2018 war das umgekehrt: Bei uns die Dürre, westlich und östlich von uns sehr große Niederschlagsmengen. Wir haben im Grunde das, was ich in Anlehnung an den Standfußball von Günter Netzer Standwetter nenne.

Schaut man sich all das an, so zeigt sich, dass es regelrechte Fernwirkungen in unserem Wettergeschehen gibt, in diesem Fall also zum Beispiel der Rückzug des Eises Tausende von Kilometern nördlich von uns. Der Eisrückgang beschleunigt sich übrigens erheblich und damit noch schneller als viele Wissenschaftler*innen annahmen. Mittlerweise ist davon auszugehen, dass das arktische Meer noch in der ersten Hälfe dieses Jahrhunderts eisfrei werden könnte, bisher wurde hierfür immer von einem Zeitraum nach 2080 ausgegangen. Wichtig zum Schluss aber auch: Dies ist einer der Prozesse, die zu Veränderungen beitragen, viele weitere spielen natürlich – sich teilweise überlagernd – eine weitere Rolle.

Aber noch einmal zurück zum extremeren Wetter: Wenn wir eine Veränderung von dreieinhalb Grad bis zum Ende des Jahrhunderts haben, dann – so sagen Modellrechnungen – wird das bedeuten, dass bei uns in der Mitte Europas zehnjährige Dürren gewöhnlich werden. Zurzeit heißt es, eine dreijährige Dürre sei absolut außergewöhnlich. Das ist ein riesiger Unterschied und dann bekommen wir auf unseren Feldern und in unseren Wäldern ein Problem, das weitaus größer ist als das, was wir unlängst erlebt haben. Klar, Dürre ist in diesem Jahr freilich nicht unser Thema. Aber wenn auf eine dreijährige Dürre wie heuer ganz viel Wasser folgt und viel guter Boden einfach weggeschwemmt wird, dann vom ordentlichen Regennachschub leider auch nichts gewonnen. Fünf Jahre Trockenheit, dann fünf Jahre über- mäßiger Regen, sodass es mit Mittel wieder stimmen mag. Eine solche Statistik bedeutet nichts Gutes. 

Ein anderes Problem bekommen wir in den Städten, die sich viel stärker aufheizen als das Umland. Für Frankfurt am Main und Köln am Rhein hat man ausgerechnet, dass dort neun Grad mehr Wärme während der Hitzewellen vorherrschen. Das ist eine völlig andere Klimazone. Die Städte werden sich – auch optisch – verändern und verändern müssen. 

Und wie sieht es mit den Meeresströmen aus? Werden wir hier auch mit negativen Auswirkungen leben müssen?

Ein zentraler Punkt für uns ist natürlich der eben von Ihnen angesprochene der Golfstrom, der beim Verlassen des Golfs von Mexiko übrigens eigentlich Nordatlantikstrom heißt. Er sorgt dafür, dass wir auf unseren Breitengraden Temperaturen vorfinden, die es ohne ihn etwa 1500 Kilometer weiter südlich gäbe. Wenn nun immer mehr Eis in der Arktis schmilzt, dann kann das zu seiner Schwächung führen. Allerdings nicht in einer Weise, die vor Jahren mal in den Medien kursierte, wo es dann hieß, dass er ganz verschwände, was bei uns extreme Wintern von November bis April zur Folge hätte. Eher ist die Auffassung heute, dass die Erwärmung bei uns in Europa ein klein wenig verlangsamt würde. 

Betrachtet man die Meeresströmungen insgesamt, so überlagen sich viele Schwingungen episodisch, was es sehr schwer macht, die Vorgänge im Erdsystem bis ins Kleinste zu durchdringen. Besonders auffällig sind El Niño und La Niña, Warm- bzw. Kaltwasseranomalien, die ihren Ursprung in der Veränderung der Passatwindzirkulation im Pazifik vor der Küste Perus haben. Deren Auswirkungen sind global zu spüren. Die Wissenschaft mutmaßt, dass sich El Niño und La Niña in Zukunft verstärken, was wiederum Extremwetterereignisse – Dürren und Starkregen – verstärkt. All das passiert, weil mehr Energie in die Atmosphäre gelangt. Ein Grad mehr bedeutet sieben Prozent mehr Was- serdampf in der Atmosphäre. Das ist Energie, die freigesetzt werden kann: als Starkregen oder auch als kinetische Energie, zum Beispiel in Form von Stürmen. Sie häufen sich nicht unbedingt, aber die, die es gibt, dürften stärker werden.

Man sollte von der Physik lernen und seine Schlüsse ziehen, bevor die Physik ihre eigenen Schlüsse zieht.

Am Ende müssen wir sogar konstatieren, dass sich die Physik einfach überhaupt nicht für uns interessiert. Ob wir da sind und auskömmlich leben können oder nicht, ist diesem Planeten schlicht egal. So ernst wie diese Erkenntnis ist – es gibt da einen Witz, den ich einigermaßen unfallfrei erzählen kann: Treffen sich zwei Erden. Sagt die eine: „Du, mir geht es gar nicht gut.“ Fragt die andere: „Wieso denn, was ist denn los?“ „Ich habe Homo sapiens!“ Da sagt die andere: „Kein Problem. Das geht vorüber!“ Dieser Witz beschreibt eigentlich alles. Ich müsste eigentlich nie mehr Interviews geben, sondern nur noch diesen Witz erzählen. (lacht und doch hört man die Besorgnis raus). Wir brauchen Respekt im Umgang mit der Natur, wir gehören dazu und müssen uns angemessen verhalten. Derzeit tun wir das nicht und da hilft es dann auch nicht, seltsame Narrative zu entwickeln, bei denen Physik und Phantasie verwechselt werden. Am Ende immer mit dem Ziel, uns von jeglicher Schuld freizusprechen und sich die Welt schönzureden. Das wird die physikalischen Prozesse, die auf dieser Erde einfach stattfinden werden, wenig beeindrucken und uns in gar keiner Weise helfen.

Noch einmal konkret: Womit genau müssen wir rechnen, wenn sich die Strömungen im Meer und in der Luft verändern? Wird Europa zur Wüste, und die Tundra in Russland verwandelt sich in einen Dschungel? 

Russland wird leider kein Dschungel, sondern es wird sehr viel Methan aus den auftauenden Permafrostböden entweichen, das den Klimawandel weiter antreibt. Wenn man einen dystopischen Roman schreiben will, dann kann man hier solche Sachen hinschreiben. Ich glaube allerdings nicht, dass so etwas zielführend ist. Allenfalls hat es nämlich zu Folge, dass wir mit dem mageren Satz „das Problem können wir sowieso nicht mehr lösen“ aufgeben. Und wenn man ein vor allem für die eigenen Kinder und Enkel sehr großes Problem vor sich hat, ist aufzugeben ein bisschen wenig, wenn man doch zuvor die ganzen Probleme selbst erzeugt hat. Deswegen wird man von mir nie wilde Untergangsgeschichten hören. Ich will stattdessen darüber nachdenken, wie man die Dinge zum Besseren wenden kann. 

Grundsätzlich, das sollte man auch erwähnen, unterliegt das ganze Klimasystem natürlich ständigen Schwankungen und ist nie konstant, wie uns die Erdgeschichte zeigt. Aber die früheren Veränderungen waren eben global noch nie so schnell wie heute. So sind für langfristige Klimaveränderungen, wie den Wechsel von Eis- und Warmzeiten zum Beispiel die Erdbahnparameter, die Milanković-Zyklen verantwortlich. Also wie steht die Erde im Verhältnis zur Sonne? Obliquität, Präzession und Exzentrizität sorgen dafür, dass wir immer unterschiedliche Energieverteilungen haben. Diese Änderungen finden in unglaublich langen Perioden von 25.000 bis 100.000 Jahren statt und deshalb kann man niemals erwarten, dass das Klima konstant bleibt. Im immer kurzfristigeren Bereich gibt es sehr viele sich überlagernde episodische Schwingungen. Deshalb ist das ganze Erdsystem wahrlich kompliziert und so müssen diese Schwingungen getrennt werden vom durch uns Menschen verursachten derzeit alles deutlich überlagernden Trend.  

Aber die Veränderungen, die jetzt schon offensichtlich sind, werden sich weiter verstärken. So war die dreijährige Dürre von 2018 bis 2020 für Mitteleuropa außergewöhnlich und die Schäden an unseren Wäldern für viele ein Grund, sich Sorgen wegen der Klimaveränderungen, die zunehmend haptisch werden, zu machen. Werden wir jedoch keinen Klimaschutz betreiben, so sind 10jährige Dürren bis zum Ende dieses Jahrhunderts für die Mitte Europas der Normalfall, so zeigen es Modellrechnungen. Das wird unseren Kontinent verändern, unsere Lebensbedingungen und unsere Landwirtschaft. Woher kann man Lebensmittel importieren, wenn eigene Ernten vielleicht nicht genügen. Wenn ich mir anschaue, wie gut die Prognosen der Wissenschaft vor 40 Jahren für heute waren, wenn ich mir anschaue, welche Modellrechnungen es für die Zukunft gibt, dann tut es mir wirklich weh, wie sehr Politiker*innen einiger Couleur die Lage absolut verkennen und so Menschen gefährden. Bundespräsident Steinmeier hat mit Blick auf den Klimaschutz unlängst gesagt: „Der Klimawandel wird von vielen von uns stark unterschätzt“ Ich würde mich getrauen zu sagen: Ganz, ganz, ganz, ganz, ganz massiv unterschätzen wir das. 

Seit 50 Jahren reden wir nun über den Klimawandel. Vor 40 Jahren schon erklärte Hoimar von Ditfurth in seiner Sendung „Der Ast, auf dem wir sitzen“ die Zusammenhänge von CO2, Treibhauseffekt und Klimawandel. Vor 25 Jahren eröffnete Angela Merkel die erste UN-Weltklimakonferenz in
Berlin. Seit spätestens 2015 ist mit dem Pariser Abkommen klar, was zu tun ist. Passiert ist bislang wenig bis nichts. Unter anderem, weil die Auswirkungen des Klimawandels noch so weit weg zu sein scheinen. Abschmelzende Polkappen, entweichendes Methan aus den tauenden Permafrostböden und so weiter und so fort. Was könnte uns jetzt noch zu einem massiven Umdenken zwingen? 

Wir werden, wie Sie schon sagen, seit den 1980er-Jahren aufgeklärt. Es gab einen Spiegel-Titel, auf dem der Kölner Dom im Wasser versinkt. „Ozonloch, Pol-Schmelze, Treibhaus-Effekt: Forscher warnen – Die Klima- Katastrophe“. Ende der 1980er-Jahre waren wir alle paralysiert von der Dramatik. Das mündete 1992 in die große Konferenz von Rio, wo wir ge- sagt haben: „Das kann alles nicht so weitergehen!“ 

Was ist seither passiert: Der CO2– Ausstoß hat um 70 Prozent zugenommen. Völlig verrückt und das Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen. Jahrelang haben wir gar keine Konsequenzen gezogen, und erst jetzt fangen wir an, so ganz langsam in die Gänge zu kommen. Wir sind kognitiv dissonant. Wir sagen A und machen B und staunen, dass wir unsere Ziele nicht erreichen. Weil das so ja nicht weitergehen kann, brauchen wir klare und weltweite politische Rahmenbedingungen, um nicht in der von Hoimar von Ditfurth benannter Falle zu landen und den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen. 

Ich fürchte, dass uns am Ende aber die Atmosphäre wecken wird. Noch verschlafen wir das Thema und wenn wir weiterschlafen oder sie ignorieren wollen, wird sie sich immer neue Dinge ausdenken, um uns zu wecken. Das ist der Kernpunkt. Immer mehr Menschen erleben, was der Klimawandel bedeutet. Wenn immer mehr Orte wie Schuld und Ahrweiler zerstört werden, werden wir irgendwann reagieren. Aber was ist das für ein Weg? Warum klappt es nicht per Verstand, sondern immer nur mit „Druck von außen“?

Deswegen nochmal zurück zur kognitiven Dissonanz: 2019 war, durch den Dürresommer 2018 ausgelöst, mit Abstand das Jahr mit den meisten Diskussionen rund um Klima und Umwelt. Und es war auch das Jahr, in dem – vor der Corona-Pandemie – die Jugend massiv durch Fridays for Future auf das Klimaproblem aufmerksam machte. Aber was geschah in 2019 auch? Es wurden noch nie so viele Flugreisen unternommen wie in 2019, es wurden noch nie so viele Kreuzfahrten gemacht wie 2019, es wurden noch nie so viele SUVs zugelassen wie 2019 und es wurde noch nie so viel Plastikmüll produziert wie 2019. Das meine ich mit Dissonanz und mit dem Satz, dass wir A sagen und B machen. Irgendwie scheinen wir nicht anders zu können oder zu wollen und darin liegt das Problem.

Deshalb bin ich der Meinung, dass wir uns mit klugen Rahmenbedingungen „austricksen“ müssen. Am Ende sollte da dieser fast etwas banal anmutende Satz stehen: Es muss am Ende der reicher werden, der die Umwelt sauber hält. Punkt. 

Glauben Sie bei diesen Aussichten persönlich daran, dass wir das selbst gesteckte 1,5°-Grad-Ziel als Menschheit erreichen? 

Das ist schwer zu beantworten. Theoretisch ist es möglich, das sagt die Wissenschaft klar. Praktisch fürchte ich leider: Nein. 2020 war, gemeinsam mit 2016 bereits über 1,2 Grad wärmer. Wir sind also schon sehr sehr nah dran am gesetzten Ziel und um es zu erreichen  einfach zu behäbig. Die nötigen Veränderungen kommen einfach zu langsam.

Wenn es schneller gehen soll, braucht es großen politischen Mut, den sich aus meiner Sicht große Teile der Gesellschaft auch wünschen. Wenn Politiker*innen aber einen Fehler mit dem anderen erklären wollen, macht mich das wütend. Auf den richtigen Satz „Der ärmere Teil der Gesellschaft –
zumal er weniger zum Klimawandel beiträgt – darf am Ende nicht die Zeche zahlen müssen“ kann doch nicht ernsthaft die Aussage folgen „Deshalb können wir uns nur ein bisschen Klimaschutz leisten!“. Die richtige Antwort muss lauten „Deshalb muss unsere Welt gerechter werden, damit eine notwendige Steuerung über das „liebe Geld“ ein fairer Ansatz ist. Ohne polemisch werden zu wollen, darf es erlaubt sein zu fragen, ob ein Börsenmakler fast am Geld ersticken muss, während eine Pflegekraft, die während der Pandemie Leben gerettet hat, kaum über die Runden kommt. 

Wir haben einen äußeren Rahmen, den uns dieser Planet Erde durch seine physikalischen Bedingungen vorgibt. Das sind seine Größe, die Luft, das Wasser und andere Ressourcen. Dahinter – nicht davor – folgen die Dinge, die wir alle gerne so machen und haben möchten.  Durchaus verständlich, aber ein „Wunschkonzert“ der Art „jeder kann sich alles beliebig oft zu einem beliebig niedrigen Preis leisten“ wird nicht funktionieren. Das zu verstehen hat auch mit Respekt gegenüber der Natur und – für gläubige Menschen welcher Religion auch immer – der Schöpfung zu tun.

Herr Plöger, vielen Dank für das Gespräch! 

Aus Band 3 wie wir morgen nachhaltiger leben wollen – erscheint 04. Oktober 2021!

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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.