Zwischen Scheunenviertel und Kollwitzkiez, an der Invalidenstraße in Berlin, findet man ein Kleinod an kulinarischen Entdeckungen. Vom Einfachen das Gute. Auf nur 45 Quadratmetern Verkaufsfläche gibt es guten Schinken, guten Käse, beste Leberwurst, fantastisches Brot, Rohmilchbutter, guten Wein und gutes Bier. Aber Geschäftsführerin Manuela Rehn hat noch viel mehr zu erzählen – über Permakultur, Bio als Standard und unser kulinarisches Erbe.
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Ihr habt kürzlich auch ein Buch veröffentlicht: Unser kulinarisches Erbe. Wie kam es dazu?
Jörg und ich arbeiten in unserem Unternehmen Grüneköpfe Strategieberatung als Green Business Consultants für Nachhaltigkeitsthemen. Einer unserer Kunden ist Transgourmet, ein Unternehmen im Foodservice-Bereich. Sie haben uns im Rahmen einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie mit der Entwicklung eines sozial-kommunikativen Projekts beauftragt. Sich jährlich immer wiederholendes soziales Engagement zeichnet Transgourmet inzwischen aus. Wir durften 2015 eine Idee entwickeln.
Zu dieser Zeit hatten wir gerade unseren Laden eröffnet und kannten uns schon in der Berliner Food-Szene aus. Wir hatten festgestellt, dass das Thema Kochen und Essen gerade auch bei jungen Leuten sehr präsent ist und dass man sich wieder mehr für die Qualität von Lebensmitteln interessiert. Gleichzeitig war uns klar, dass man das, was einen interessiert, beispielsweise Rezepte, heute hauptsächlich im Internet recherchiert.
Es gibt aber die Generation unserer Großmütter, die einfach per se viel wissen und hervorragend kochen konnten. Allerdings werden die gar nicht gefragt. Oder besser: Die hat man vergessen zu fragen.
Und so entstand diese schöne Idee des Kochbuchs Wir haben einfach gekocht!, das überdies auch auf die Lebenssituation unserer alten Menschen in Senioren- und Altenheimen aufmerksam macht. In den Einrichtungen geht es immer nur um Kosten, um Standardisierung und Effizienz. Der Geschmack bleibt auf der Strecke.
Wir wollten diese alten Rezepte bewahren und zugleich auf dieses Thema aufmerksam machen und den Menschen in den Einrichtungen eine Stimme geben. Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Kochen und Essen bedeuten Heimat. Sie wecken in uns viele Erinnerungen und Verbundenheit. Und das Gefühl, noch gebraucht zu werden. Wir sind dann in die Einrichtungen gegangen und haben mit den Frauen über Rezepte von früher gesprochen. Neben den kulinarischen Erinnerungen kamen viele andere, sehr persönliche Geschichten zum Vorschein, die sie sonst nicht erzählt hätten. Das Buch ist ein Türöffner geworden.
Ihr habt also in den Küchen der Einrichtungen mit den Frauen gekocht. Waren diese Treffen Anlass für manche Heime, etwas zu verändern? Gibt es jetzt zum Beispiel die Möglichkeit, einmal in der Woche mitzukochen?
Dieses erste Buch aus dem Jahr 2015 hat schon eine Welle losgetreten. Transgourmet hat die Erlöse aus diesem Projekt zurück in eine Art Fonds gegeben, aus welchem dann Maßnahmen wie zum Beispiel Schulungen bezahlt wurden. Es wurde ein jährlicher Wettbewerb ins Leben gerufen, bei dem sich Einrichtungen mit ihren Konzepten bewerben können, um ihre Konzepte auszeichnen zu lassen. Seitdem ist viel passiert.
Ein Wandel vollzieht sich eben auch in kleinen Schritten. Man muss nicht gleich das tolle Wohnküchenkonzept haben. Manchmal reicht es schon aus, wenn eine Präsenzkraft in der Großküche dabei ist, wenn die Frauen mithelfen, Bohnen zu schnibbeln. Und es gibt kleine mobile Küchen, die von Stockwerk zu Stockwerk gefahren werden können, wo man sogar direkt am Bett mit den Menschen noch etwas machen kann. Unser Projekt war damals definitiv der Anstoß für etliche Ideen.
Das ist eine schöne Bestätigung und macht stolz, oder?
Was mich am glücklichsten macht – das ist gar nicht im Buch oder anderswo zu sehen –, das sind so die Nachwehen. Wir haben zum Beispiel nach der ersten Reise 2015 eine ganz rührende Karte zu Weihnachten bekommen. Darin erzählte eine Dame, dass ihre Mutter beim Kochbuchprojekt mitgemacht hat. Vorher sei sie sehr depressiv gewesen, habe alles ganz schrecklich gefunden, kaum noch gesprochen und ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Als wir kamen, hat sie sich noch ein wenig gesträubt, mitzumachen, war aber dann mit vollem Elan bei der Sache. Seitdem – und wir waren nur zwei Tage dort – schrieb uns ihre Tochter, habe sie keinen einzigen depressiven Schub mehr gehabt. Sie ist eine Frau, die das Leben wieder genießt, und die Wertschätzung, die sie erfahren hat, hat ihr unglaublich gutgetan. Jedes Jahr haben wir fortan eine solche Karte bekommen. Nur durch diese zwei Tage hat der Kontakt noch lange Zeit gehalten, bis sie dann letztes Jahr verstorben ist.
Das sind so die kleinen berührenden Geschichten, die erst im Nachgang kommen und einen in dem, was man tut, bestärken.
In Berlin war auch in diesem Jahr eine Dame dabei, schon dement und zu Anfang sehr ablehnend:„Was wollen die denn jetzt hier? Ich kann ja sowieso nichts…“
Als sie gespürt hat, dass wir wirkliches Interesse haben und etwas erfahren wollen, ist sie voll aufgeblüht und hat mit strahlendem Lächeln sehr engagiert mitgekocht, die Himbeeren püriert, am Herd gestanden und mit dem Kochlöffel im Topf gerührt. Bei der Verabschiedungsrunde hat sie dann zu mir gesagt: „Das war der schönste Tag seit Langem.“ Ob ich ihr das bitte auf einen Zettel schreiben könne, damit sie das nicht vergäße und damit sie den Zettel ihrer Tochter geben könne. Zum Abschied hatte sie Tränen in den Augen, hat mich umarmt und sich bedankt. Dann habe ich ihr den Zettel gegeben, den sie in ihr Portemonnaie gesteckt hat. Darauf legte sich ein Schalter um und sie sagte: „Ach Gott, ich muss ja noch die Kinder vom Bahnhof abholen.“ Das mag traurig klingen, doch für eine kurze, aber umso bedeutsamere Zeit konnten wir sie aus dem Tunnel der Demenz holen.
Kochst du selbst aus dem neuen Buch Unser kulinarisches Erbe?
Ja, die Funzelsuppe habe ich schon mehrmals gemacht. Ich bin sowieso ein Freund von ganz einfachen Sachen: Kartoffelpuffer, alle Klosarten, Himmel und Erde und so weiter. Was ich schwierig fand, war das Möppkenbrot. Das ist so eine Art Grützwurst aus Blut. Das Zungenragout aus Hannover hingegen war großartig. Ich würde mir allerdings nicht zutrauen, es zu Hause nachzukochen. Und natürlich mag ich die Eintöpfe.
Hast du viel dazugelernt?
Klar, jede Menge!
Das gesamte Gespräch in Band eins wie wir morgen essen und trinken wollen.
Jetzt aber erstmal das Rezept für die von Manuela genannte Funzelsuppe aus dem Buch Unser kulinarische Erbe:
Für 4 Personen | 1 Stunde 10 Minuten
Ursprünglich eine sehr karge Suppe, die wir ins Heute gebracht haben, ohne ihren eigentlichen Charakter zu verfälschen.
Zwiebeln, Karotten und Sellerie schälen, Fenchel und Lauch putzen und waschen. Knoblauchzehe schälen. Alles in dünne Scheiben schneiden. Die Gemüse bis auf den Lauch mit Weißwein,
1,5 l Wasser und Salz in einen Topf geben. Einmal aufkochen lassen, vom Herd nehmen und abgedeckt 15 Minuten ziehen lassen. Den Lauch dazugeben und die Brühe weitere 15 Minuten abgedeckt ziehen lassen. Durch ein Tuch oder ein feines Sieb abgießen. Das gekochte Gemüse anderweitig verwenden.
Zum Fertigstellen die Kartoffeln schälen und grob raspeln. Die Kartoffelraspel mit der Gemüsebrühe in einen Topf geben und unter gelegentlichem Rühren einmal aufkochen. Bei schwacher Hitze ziehen lassen, bis die Kartoffeln gar sind und die Suppe leicht gebunden hat. In der Zwischenzeit die Petersilie waschen, trocken tupfen und fein schneiden. Die Suppe mit Zucker und Salz würzen. Die Petersilie unterrühren und die Suppe sofort servieren.
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Einkaufsliste:
Für die Gemüsebrühe
300 g Zwiebeln
200 g Karotten
200 g Knollensellerie
100 g Fenchel
100 g Lauch
1 Knoblauchzehe
180 ml Weißwein
20 g Steinsalz
Zum Fertigstellen
800–1.000 g festkochende Kartoffeln (z. B. Linda; die Menge kann aber je nach Sorte und Jahreszeit variieren, da der Stärkeanteil schwankt)
1 Bund glatte Petersilie
2 TL Zucker (10 g)
Steinsalz