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Was braucht es für die grüne Mobilitätswende?

In einer Welt, geprägt durch Hypermobilität und Digitalisierung, erörtert Prof. Rammler, ein Experte für Verkehrsfuturologie, die kritischen Herausforderungen unserer vernetzten Gesellschaft. Wir beleuchten für Band sechs der morgen-Reihe die Notwendigkeit einer resilienten Infrastruktur und untersuchen die Möglichkeiten einer schnellen Verkehrswende in einer auf fossile Brennstoffe ausgerichteten Ära. 

Vor zehn Jahren hast du dein Buch Schubumkehr veröffentlicht, das für mich die umfassende Quelle zum Thema Mobilitätswende ist. Bevor wir uns den einzelnen Trends widmen, würde ich gerne von dir wissen: Wie schätzt du die Entwicklung in der Mobilitätswende der letzten zehn Jahren ein? Wo stehen wir?

Als ich vor zehn Jahren Schubumkehr veröffentlichte, zielte ich darauf ab, die Konzepte der Verkehrswende, die zu dieser Zeit noch neu und entwicklungsbedürftig waren, in einem leicht verständlichen und überzeugenden Narrativ darzustellen. Damit wollte ich ein Bild skizzieren, das es Konsument:innen, Politiker:innen und Entscheider:innen ermöglicht, die potenziellen Auswirkungen einer realisierten Verkehrswende zu begreifen. Doch wenn ich heute zurückblicke, scheinen wir kaum Fortschritte gemacht zu haben. Einiges an der damals entwickelten konzeptionellen Intelligenz ist möglicherweise schon wieder verloren gegangen.

Eckard Christiani im Gespräch mit Prof. Stephan Rammler

Besonders im Bereich der Elektromobilität, der einst als zentrales Anliegen der Antriebswende galt, erleben wir erhebliche Verzögerungen, vor allem auf dem deutschen Markt. Die deutsche Autoindustrie scheint die notwendige Transformation nicht erfolgreich umsetzen zu können, was teilweise auf den starken Einfluss der Unternehmenslobbys auf die Politik zurückzuführen ist. Dies führt zu Rückschritten bei der Elektromobilität.

Die Akzeptanz seitens der Verbraucher:innen ist ebenfalls nicht dort, wo sie sein müsste, was zum Teil durch den Wegfall von Fördergeldern und die noch unzureichende Infrastruktur bedingt ist. Das aktuell etablierte Modell der Elektromobilität entspricht nicht dem, was ich in meinem Buch beschrieben habe. Ich hatte mir Elektromobilität als Systeminnovation vorgestellt, die alle Verkehrsträger umfasst und öffentlichen Verkehr, private Mobilität mit Fahrrädern und Mikromobilität integriert. Das angestrebte Ziel war, den privaten Autobesitz möglichst überflüssig zu machen und die notwendige Automobilität auf essentielle Dienste wie Rettungsdienste oder Polizei zu beschränken. Also ein sehr beschränktes Modell der Automobilität – in der Hauptsache im urbanen Bereich.

Stattdessen hat sich die Elektromobilität lediglich als technologische Veränderung des Antriebs etabliert. Die Nutzungsgewohnheiten haben sich nicht grundlegend verändert: wir haben keine alternative Rationalität im Umgang mit dem Fahrzeug entwickelt. Wir haben neuen technologischen Wein in die alten Schläuche einer überkommenen Nutzungskultur gefüllt. Das ist das Modell, in das sich jetzt die Elektromobilität einpassen muss. Ein klassischer Rebound-Effekt zeigt sich darin, dass die Fahrzeuge größer, raumintensiver und leistungsfähiger geworden sind und noch mehr gefahren werden, weil sie ein gutes ökologisches Gewissen versprechen. Hauptsächlich werden diese Autos von einer wohlhabenderen Schicht genutzt. Dies steht im krassen Gegensatz zu einem demokratisierbaren und global nachhaltigen Modell der Elektromobilität, wie ich es ursprünglich ins Auge gefasst hatte.

Richtig! Der Wechsel von fossilen zu regenerativen Energien kann nicht als Verkehrswende bezeichnet werden. Du bist verständlicherweise der Meinung, dass dieser Ansatz nicht ausreicht und sogar unsere Fortschritte in Richtung einer wahren Nachhaltigkeit behindern könnte. Kannst du das näher erläutern?

Das ist mit einer Gefahr verbunden, die ich grünen Imperialismus nenne. In meinem neuen Buch widme ich mich dem Konzept der Hypermobilität, also der Beschleunigung und Intensivierung aktueller Mobilisierungstendenzen. Es zielt darauf ab, die Prämissen der Verkehrswende, meine eigenen Erwartungen und normativen Horizonte kritisch zu hinterfragen. Als ausgebildeter Innovationsökonom und Techniksoziologe muss ich reflektieren, inwieweit ich möglicherweise gegen meine eigenen theoretischen Erkenntnisse gearbeitet habe – getrieben von dem starken Wunsch, die Verkehrswende zu realisieren.

Ein zentrales Thema, das ich dabei anspreche, ist der grüne Imperialismus. Dieser Begriff beschreibt, wie durch die Elektromobilität bei gleichzeitiger Digitalisierung der Mobilität Nachhaltigkeit nur scheinbar gefördert wird – auf Kosten einer extrem hohen Ressourcenbelastung. Diese Ressourcen – seltene Erden, Kupfer, Molybdän für die Batterien – beziehen wir in neokolonialer Manier überwiegend aus Ländern des globalen Südens, was die globale Ungleichheit weiter verschärft. Für die Konsument:innen im globalen Westen bleibt alles so, wie es ist. Nur durch die Veränderung der Technologien wird Nachhaltigkeit auf dem Niveua einer extrem hohen Ressourcenlast erzeugt.

Prof. Stephan Rammler, (*1968), ist ein deutscher Mobilitäts- und Zukunftsforscher. Er war Gründungsdirektor des Instituts für Transportation Design (ITD), bis 2022 Professor für Transportation Design & Social Sciences an der HBK Braunschweig und bis 2023 wissenschaftlicher Direktor am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT.

Wir erleben in den westlichen Metropolen eine stetige Urbanisierung, aber der physische Raum bleibt gleich, während die Anzahl der Fahrzeuge nicht abnimmt. Die Probleme des städtischen Verkehrs, insbesondere Nutzungskonflikte, werden durch die aktuellen Ansätze der Elektromobilität nicht gelöst, sondern oft sogar verschärft. Das Fatale an der heutigen Innovation in der Elektromobilität ist, dass sie die bestehenden Probleme nicht nur nicht angeht, sondern sie durch den Mangel an einer echten Kreislaufwirtschaft und die unveränderte Nutzungskultur weiter vertieft. Es ist also eine doppelte Herausforderung, da sowohl die ökologischen als auch die sozialen Ziele nicht erreicht werden.

Abgesehen von der unsäglichen CO2-Bilanz unserer Mobilität, welche weiteren Gefahren siehst du, die oft übersehen werden? Ich denke da an Hackerangriffe und extreme Wetterereignisse. Kannst du uns mehr über diese Risiken erzählen?

In der modernen Gesellschaft erleben wir keinen Mobility Peak und auch keine Abnahme, sondern eine weitere Entgrenzung und eine Beschleunigung der Mobilität, verbunden mit hochinteroperablen und interdependenten globalen Verkehrssystemen. Diese Systeme sind durch die Digitalisierung effizienter geworden, was beispielsweise das Reisen noch attraktiver macht. Allerdings werden diese Systeme dadurch auch angreifbarer. Diese Verwundbarkeit wurde in der Debatte über die Digitalisierung der Mobilität lange Zeit übersehen. Alles, was digitalisiert wird, kann angegriffen werden. Das haben wir in den letzten zehn Jahren gesehen, zum Beispiel bei Angriffen auf den Deutschen Bundestag, die in der Öffentlichkait kaum wahrgenommen wurden.

Die aktuelle geopolitische Lage zeigt – siehe die Huthi Rebellen im Roten Meer –, wie anfällig unsere Mobilitätssysteme für Unterbrechungen sind, und Hacker nutzen diese Angriffspunkte überdies gezielt aus. Unsere Fahrzeuge sind heute rollende Computer, deren Fernwartungssysteme und Verkehrslenkungssysteme über digitale Schnittstellen verbunden und daher angreifbar sind. Zudem müssen wir uns mit der Fragilität der Verkehrssysteme auseinandersetzen, die durch die zunehmende Komplexität der Systeme entsteht. Die Bahn hat zudem Probleme mit Starkwetter, die Autobahninfrastruktur und der Flugverkehr auch. 

Die Resilienzfrage wird zudem immer dringender, da wir sehen, dass sich extreme Wetterereignisse häufen. Im Übrigen haben wir durch den Klimawandel Entwicklungen im Mittelmeer-Tourismus, die wir vor einem Jahrzehnt noch erst für das Jahr 2049 erwartet hatten. Darüber können wir später noch einmal sprechen.

Studien, wie jene, die ich kürzlich für die Friedrich Ebert Stiftung durchgeführt habe, zeigen tiefgreifende Einschnitte durch die Folgen des Klimawandels. Wir werden das als normalen Zustand erleben, was jetzt in den letzten Jahren passiert ist. Diese Entwicklungen fordern uns heraus, unsere Abhängigkeit von internationalen Ressourcenströmen zu verringern oder zumindest die operativen Systeme der Mobilität durch resilienzsteigernde Maßnahmen zu sichern.

Ein interessantes Beispiel, das Sven Plöger neulich in seiner TV-Dokumentation Die Macht des El Niño gezeigt hat, betrifft den Panamakanal. Dieser wird für das Heben der Schiffe aus einem Süßwassersee gespeist, der jetzt wegen des Klimawandels weniger Wasser führt. Aktuell warten dort 200 bis 300 Schiffe im Stau. Was denkst du über solche Auswirkungen des Klimawandels auf unsere globalen Transportsysteme?

Das Beispiel des Panamakanals ist sehr aufschlussreich. Es verdeutlicht, wie die globale Erwärmung Systeme, die bisher gut funktionierten, zunehmend anfällig macht. Ich denke, dass das Thema der Resilienz in der Mobilität beginnt, das Thema der Nachhaltigkeit zu überschreiben. Ähnlich verhält es sich mit den geopolitischen Krisen unserer Zeit, die beginnen, das Klimathema und andere Nachhaltigkeitsfragen zu überlagern. Diese Entwicklungen zeigen, dass wir in der Mobilität ähnliche Herausforderungen erleben werden.

Lass uns noch etwas über die fehlende Resilienz sprechen. Marc Elsbergs Buch Blackout beschreibt ein Szenario, in dem europaweit der Strom ausfällt. Welche Parallelen siehst du zwischen solchen Szenarien und den Herausforderungen, denen sich die Mobilität gegenübergestellt sieht?

Das Szenario in Marc Elsbergs Blackout basiert auf Modellen, die damals das IZT – das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung – berechnet hat. Diese Arbeit hat tiefe Einblicke in die potenziellen Folgen eines europaweiten Stromausfalls geliefert. Große Parallelen zu den Herausforderungen der Mobilitätssektor sind offensichtlich. In beiden Fällen sehen wir, wie kritisch die Abhängigkeit von vernetzten und technologisch komplexen Systemen ist. Ein Ausfall in einem Teil des Systems kann rasch das gesamte Netzwerk beeinträchtigen, was die Bedeutung von Resilienz und robusten Systemen unterstreicht.

Marc Elsberg,Blackout erschienen 2013 im Blanvalet Taschenbuch Verlag, 832 Seiten,
13,– Euro
, ISBN 978-3442380299

Du hast erwähnt, dass einzelne Autos und sogar die Bahn relativ leicht angreifbar sind. Wie leicht könnte jemand, der es darauf anlegt, unsere Mobilitätssysteme tatsächlich lahmlegen?

Wir haben bereits erlebt, wie angreifbar unsere Systeme sind. Ein Beispiel ist der zeitgleiche Angriff auf zwei Sicherungskästen der Deutschen Bahn in Berlin und im Westen Deutschlands. Diese Aktionen zeigten deutlich, dass die Schutzmechanismen der Bahn unzureichend sind. 

Zudem gibt es in der Klimatransformationsszene mittlerweile Teildiskurse, die Anschläge auf Infrastrukturen zu legitimieren. Ein schwedischer Theoretiker hat dazu ein Buch verfasst, dass radikalisierte Klimapolitik gezielte Angriffe auf fossile Infrastrukturen wie Pipelines und Bahnen fördert. Diese Ideen sind nicht neu; ich hatte ähnliche Szenarien vor zwanzig Jahren gesehen, mich aber damals nicht getraut, sie zu veröffentlichen, da sie mir zu radikal erschienen. Angriffe auf die digitale Infrastruktur – auch von russischen Hackern –, wie die regelmäßigen At-
tacken auf den Deutschen Bundestag oder Umspannwerke, werden in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Das Blackout-Szenario, in dem eine digitalsierte Schnittstelle genutzt wird, um ein Virus in das Energieversorgungssystem einzuschleusen, verdeutlicht die Fragilität unserer Systeme. Es führt uns vor Augen, was passiert, wenn eine Gesellschaft plötzlich ohne Elektrizität dasteht und wie schnell sie in vormoderne Zustände zurückfallen kann. Ein ähnliches Desaster könnte eintreten, wenn unsere Mobilitätssysteme versagen. Oft sind es Energie- und Mobilitätssysteme, die gleichzeitig betroffen sind. Deshalb ist es von höchster Wichtigkeit, unsere Energieversorgungssysteme umfassend zu schützen.

Aber die aktuellen Schutzmaßnahmen unserer Mobilitäts- und Energieinfrastrukturen funktionieren doch sicherlich ausreichend gut, oder? (lacht)

Wie ich bereits erwähnt habe, sind unsere Systeme nicht ausreichend geschützt. Ein weiteres markantes Beispiel dafür sind die Hackerangriffe auf die ukrainischen Energieversorgungssysteme, die auch unbeabsichtigt Teile von Windparks in Deutschlands betroffen haben. Diese Vorfälle zeigen deutlich, dass unsere Infrastrukturen verletzlich sind. In der jüngsten Studie über Resilienz, die wir als Team am IZT verfasst habe, haben wir die Resilienz als unser Kernthema definiert, um auf die dringende Notwendigkeit hinzuweisen, unsere technischen Infrastrukturen zu schützen. Diese Thematik ist nun im Bundestag angekommen, und es gibt Diskussionen über Resilienz, aber konkrete Fortschritte sind noch rar.

Die Deutsche Bahn verfügt weder über die notwendigen Ressourcen noch über das Bewusstsein für die Bedrohung. Automobilhersteller schützen zwar ihre eigenen Systeme, aber der beste Schutz ist bisher in der Luftfahrtbranche zu finden, die in der
Digitalisierung und bei Sicherheitsmaßnahmen den anderen 20 Jahre voraus ist.

Du hast erwähnt, dass du, als du dein erstes Buch geschrieben hast, die klimatischen Verhältnisse für den Tourismus im Mittelmeerraum anders eingeschätzt hast, nämlich klimatische Veränderungen für einen späteren Zeitpunkt. Welche Entwicklungen im Tourismus hast du konkret gemeint, und welche weiteren Trends siehst du in diesem Bereich?

Tourismus ist einer der Bereiche mit symbolischem Charakter. Er betrifft das Wohlbefinden der Menschen und hat dadurch eine starke Aufmerksamkeit. Ich habe die klimatischen Veränderungen im Mittelmeerraum analysiert, und meine damaligen Prognosen sind jetzt von der Realität eingeholt worden. Früher dachte ich, dass erst in den 2040er Jahren die Temperaturen im Mittelmeerraum während der Hauptreisezeit so hoch sein würden, dass sie das Energienetz durch den massiven Einsatz von Klimaanlagen überlasten und die Wasserversorgung aufgrund extremer Trockenheit problematisch wird. Diese Entwicklungen treten jedoch jetzt schon auf – viel früher als erwartet. Das führt dazu, dass der Massentourismus in der Mittelmeerregion nicht mehr wie gewohnt möglich sein wird. Stattdessen werden neue Destinationen wie die Nord- und Ostsee in Deutschland sowie der skandinavische Raum entdeckt, die stabilere Wetterlagen bieten. Dort entsteht schon heute ein Mittelmeer-Feeling – durch stabile klimatische Veränderungen.

Gleichzeitig erleben wir, dass der Wintertourismus, wie wir ihn kennen, nicht mehr möglich ist. Die Veränderungen gehen viel schneller voran, als ich es damals erwartet habe. Dies zeigt, wie schnell sich die klimatischen Bedingungen ändern und welche tiefgreifenden Auswirkungen diese auf den Tourismussektor haben.

Wie können wir von einem Gefühl des Müssens zu einem Wollen kommen? Müssen wir nicht Begeisterung wecken für eine neue, vielleicht entschleunigte, aber saubere und lebenswerte Welt, in der Gesundheit und soziale Gerechtigkeit zentrale Werte sind? Wo finden wir die Begeisterung dafür? Oft wird uns doch nur von Verzicht und hohen Kosten berichtet, ohne die positiven Aspekte hervorzuheben.

Die Begriffe Verzicht und teuer werden oft von Gegnern der Transformation genutzt, um Widerstand zu mobilisieren. Es ist wichtig, dass wir uns dieser negativen Etikettierungen bewusst sind. Wir sollten versuchen, durch positive Narrative Veränderungen anzustoßen, die mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Diversität fördern. Diese Narrative sind in westlichen Gesellschaften besonders wichtig, da sie andere Lebensweisen ermöglichen, die als Indikatoren für ein gelingendes Leben angesehen werden. Dazu gehört übrigens auch Veganismus.

Jedoch gibt es immer Menschen, die sich Veränderungen widersetzen, unabhängig davon, wie attraktiv die Narrative gestaltet sind. Diese Menschen sind durch positive Geschichten schwer zu erreichen, da sie oft eine tiefsitzende Abneigung gegen Veränderungen haben – die übrigens von politischen Akteuren wie der AfD ausgenutzt wird. Diese Akteure nutzen die Angst vor Verlust und Veränderung und verbreiten den Vorwurf des Zwangs und des Verzichts.

Trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, weiterhin behutsam und überzeugend zu argumentieren. Narrative spielen eine wichtige Rolle im kulturellen Wandel, aber sie sind oft zu langsam und nur begrenzt steuerbar. Die Herausforderung besteht darin, gesellschaftliche Transformationen zu fördern, die auf tiefgreifenden kulturellen Wandel setzen und gleichzeitig den Menschen Sicherheit und positive Perspektiven bieten.

Mojib Latif schlägt vor, dass wir, wenn Überzeugung allein nicht ausreicht, Menschen für umweltfreundliches Verhalten belohnen und umweltschädliches Verhalten bestrafen sollten. Was hältst du von dieser Strategie, um Verhaltensänderungen zu fördern?

Der Gedanke, über ökonomische Anreize zu gehen – sei es durch finanzielle Belohnungen oder finanzielle Auflagen oder durch Ordunungspolitik –, ist in den aktuellen freiheitlichen Demokratien schwer umsetzbar. Wir sehen das zum Beispiel bei der Verkehrspolitik und Diskussionen um Sonntagsfahrverbote. Solche Ideen werden oft nicht einmal ernsthaft in Betracht gezogen, obwohl sie potenziell effektiv sein könnten. Die Idee eines absoluten Fahrverbots an drei Wochenenden im Jahr könnte beispielsweise den ökologischen Schaden reduzieren helfen. Doch solche Vorschläge werden schnell von Medien wie der Bild und politischen Akteuren, die aus der Machtpolitik ihren Nutzen ziehen, aufgehetzt und diskreditiert.

Diese Art der Diskursführung wird oft von Akteuren beeinflusst, die eigene Interessen verfolgen, wie die FDP und die AfD, die in diesem Zusammenhang als besonders problematisch gelten. Sie nutzen die Angst vor Zwang und Verzicht, um gegen vernünftige, ökonomisch rationale Maßnahmen wie CO2-Steuern zu argumentieren. Dabei wird oft vergessen, dass Politik immer auch Lenkung bedeutet und nicht nur den unmittelbaren Wünschen der Bevölkerung folgen sollte. Unsere repräsentative Demokratie ist intelligenterweise so ausgedacht, dass Politiker:innen auch Entscheidungen treffen müssen, die langfristig sinnvoll sind, auch wenn sie kurzfristig unpopulär sein mögen. Politik bedeutet, auch Zumutungen zu machen.

Industrielle Lobbys und Gewerkschaf-
ten spielen ein bigottes Spiel und  setzen Politiker oft unter Druck, um den Status quo zu erhalten. Beispielsweise wird die Elektromobilität zwar öffentlich unterstützt, gleichzeitig wird aber auf Lobbyebene versucht, fossile Antriebe so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Dies zeigt, wie komplex und herausfordernd es ist, sinnvolle und notwendige Veränderungen in unserer Gesellschaft durchzusetzen.

Viele argumentieren, dass der Stopp der Produktion fossiler Motoren einen Wohlstandsverlust bedeutet, etwa durch Arbeitslosigkeit. Andererseits führt weiteres CO2-Ausstoßen zu Umweltschäden, die ebenfalls einen Wohlstandsverlust darstellen, zum Beispiel durch die Unmöglichkeit, im Freien Zeit zu verbringen. Wie siehst du diesen Konflikt zwischen kurzfristigem Wirtschaftsinteresse und langfristiger Umweltschädigung?

Als Politikwissenschaftler sehe ich, dass der Ansatz, kurzfristige Wohlstandsverluste durch den Wegfall bestimmter Industrien mit den langfristigen Wohlstandsverlusten durch Umweltschäden direkt zu vergleichen, in der Praxis oft scheitert. Die kollektive Vorstellung, dass sol-
che Veränderungen einfach umzusetzen sind, trifft auf harte wirtschaftliche Realitäten. Speziell in der Autoindustrie und in den großen fossilen Transformationsregionen wie dem Ruhrgebiet oder der Lausitz bedeutet die Transformation zunächst einen Verlust von Arbeitsplätzen. Braunkohle wird nicht mehr gebraucht und  Elektrofahrzeuge erfordern generell weniger Beschäftigung.

Dieser Verlust kann jedoch durch neue Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Bereichen ausgeglichen werden, oder?

Das Problem ist die regionale und sektorale Diskrepanz: Die Personen, die ihre Jobs verlieren, haben oft nicht die benötigten Qualifikationen oder befinden sich nicht an den Orten, wo neue Jobs entstehen. Es ist nicht nur ein Problem des absoluten Fachkräftemangels, sondern vielmehr der relativen Arbeitslosigkeit an spezifischen Standorten.

Es zeigt sich, dass ein direkter Übergang von alten zu neuen Industrien nicht nahtlos ist und ernsthafte soziale und wirtschaftliche Herausforderungen mit sich bringt. Es bedarf gezielter politischer und gesellschaftlicher Anstrengungen, um diese Übergänge sozialverträglich zu gestalten und die notwendigen Qualifikationen und Mobilität für die betroffenen Arbeitskräfte zu gewährleisten.

Können wir es uns wirklich leisten, so gleichgültig zu sein und zu sagen, dass jemand ‚leider am falschen Ort‘ wohnt, wenn es um den Verlust von Arbeitsplätzen durch strukturellen Wandel geht? Wie sollte die Gesellschaft oder die Politik darauf reagieren?

Politik darf die harten Realitäten nicht ignorieren, die mit dem Verlust von Arbeitsplätzen durch strukturellen Wandel einhergehen. Auf einer abstrakten Ebene mag es einfach erscheinen, den Verlust und Gewinn von Arbeitsplätzen auszugleichen, zum Beispiel durch Digitalisierung oder andere wirtschaftliche Verschiebungen. Die Realität der betroffenen Menschen sieht jedoch anders aus. Sie haben sich ein Leben aufgebaut, Häuser gekauft, Familien gegründet und stehen jetzt vor der Herausforderung, dass ihre Lebensgrundlage bedroht ist. Dies betrifft ihre emotionale Bindung zu ihrem Lebensstil und ihrer Umgebung, die schwer zu verändern sind.

Diese soziokulturelle Verwurzelung in einem etablierten Wohlstandsmodell moderner fossiler Gesellschaften schafft erhebliche Widerstände gegen Veränderungen. Diese Veränderungen im Lebensstil und in der Raumstruktur sind unglaublich schwierig zu bewältigen. Wir sehen, dass Mobilität nicht so schnell veränderbar ist, wie wir es benötigen würden. Doch wenn wir nichts unternehmen, wird sich die Situation unweigerlich verändern, und nicht unbedingt zum Besseren.

In meinem früheren Werk habe ich gegen erhebliche innere Zweifel angeschrieben. Jetzt sehe ich meine Aufgabe darin, mich positiv zu engagieren, auch wenn ich früher bestimmte ökonomische Grundannahmen nicht in Frage gestellt habe. Ich hatte nicht den Mut, das vorherrschende ökonomische System, das auf dynamischem Wachstum und hoher Ungleichheit basiert, zu hinterfragen. Diese Einsicht führt zu einer tiefen Desillusionierung. Wenn wir nicht beginnen, unser globales, kapitalistisches Wirtschaftssystem grundlegend zu überdenken und Alternativen zu entwickeln, dann können wir andere wichtige Fragen bezüglich Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit letztlich auch nicht effektiv angehen. Es ist entscheidend, dass wir über den Mut verfügen, bestehende Wirtschaftsstrukturen zu hinterfragen und nachhaltige, gerechtere Systeme zu fördern.

Stell dir vor, alle Hindernisse durch Lobbyvereine und gesellschaftliche Unbeweglichkeit sind nicht vorhanden. Wie würdest du dir eine optimale Welt vorstellen, die vernünftig und nachhaltig mobil ist?

Wenn wir uns die idealen Bedingungen für eine Transformation im Bereich der Mobilität vorstellen, ohne die Beschränkungen durch Lobbyismus und gesellschaftliche Trägheit, dann sehen wir, dass wir technologisch bereits alles Nötige zur Verfügung haben. Die Technologien für eine nachhaltige Mobilität sind vorhanden und könnten, wenn sie ohne Einschränkungen eingesetzt würden, zu einer tiefgreifenden Veränderung führen.

In dieser idealen Welt würden wir eine Kombination aus Elektromobilität, verbessertem öffentlichen Verkehr und der Förderung von nicht-motorisierten Verkehrsmitteln wie Fahrrädern und Fußgängerzonen sehen. Die Städte wären so gestaltet, dass kurze Wege die Norm sind und der Bedarf an langen Pendelstrecken minimiert wird. Energieeffizienz und erneuerbare Energien würden die Mobilitätsnetze speisen, wodurch eine saubere und effiziente Bewegung von Menschen und Gütern gewährleistet wird.

Zudem würde der öffentliche Verkehr so ausgebaut und finanziert, dass er eine echte Alternative zum privaten Fahrzeugverkehr bietet. Städtebau und Raumplanung würden darauf abzielen, Lebens- und Arbeitsräume so zu integrieren, dass Verkehrsbedarf drastisch reduziert wird. Es gäbe starke Anreize für die Nutzung umweltfreundlicher Transportmittel und Investitionen in Infrastruktur, die multimodale Mobilität unterstützt und fördert.

Diese Welt würde nicht nur die ökologische Belastung minimieren, sondern auch die Lebensqualität erheblich steigern, indem sie saubere Luft, weniger Lärm und mehr Raum für soziale Interaktion bietet.

Du hast erwähnt, dass uns bereits alle notwendigen Technologien zur Verfügung stehen. Könntest du näher auf die spezifischen Bereiche eingehen, die für eine nachhaltige Mobilitätswende entscheidend sind?

Wir verfügen bereits über zahlreiche Antriebsinnovationen, die sich sinnvoll nutzen lassen. Elektromobilität zum Beispiel ermöglicht sehr effiziente Antriebssysteme, die wesentlich effizienter sind als thermisch betriebene Verbrennungsmotoren. Wir können unterschiedliche Reichweiten über Batterieelektrik oder Brennstoffzellen bedienen, was in fast allen Verkehrsbereichen bis hin zur Luftfahrt anwendbar ist.

Für Sektoren wie die Schiffslogistik, die noch nicht unmittelbar auf Elektromobilität oder Brennstoffzellen umstellbar sind, besteht die Möglichkeit, synthetische Treibstoffe nachhaltig zu produzieren und zu nutzen. Zudem steigt die Akzeptanz für individuelle Mobilitätslösungen, wie Radfahren, die sowohl Bewegung als auch Gesundheitsvorteile bieten. Dies wird besonders von der Generation der Babyboomer, die jetzt in Rente geht, geschätzt.

Raum- und Siedlungsplaner und Politiker beginnen zu verstehen, dass urbane Räume anders gestaltet werden müssen als ländliche Gebiete, um die Dichte moderner westlicher Städte effektiv zu managen. Singapur ist ein sehr gutes Beispiel für perfekt organisierten ÖPNV. Das Wissen ist also da. 

Die Digitalisierung ermöglicht es uns, Verkehrssysteme effizienter und kostengünstiger zu betreiben, indem sie hilft, Arbeitskosten zu reduzieren.

Ein weiteres wichtiges Konzept ist die Kreislaufwirtschaft, bei der nahezu 100% der Materialien, die am Anfang eines Produktlebenszyklus verwendet werden, am Ende recycelt und wiederverwendet werden können. Dies ist designtechnisch anspruchsvoll, aber machbar. Wir müssen unsere Recyclingverfahren so gestalten, dass sie die Rückgewinnung von Materialien ermöglichen. Zum Beispiel ist noch nicht klar, wie wir mit den hochgradig verklebten Batterien wie denen von Tesla umgehen werden.Es war noch nie eine gute Idee, neue Technologien einzuführen, ohne eine Lösung für den entstehenden Abfall zu haben. Siehe Atomkraft!

Wir verfügen über die Technologien und beginnen, Verhaltensänderungen zu sehen, die für eine nachhaltige Mobilitätswende notwendig sind. Durch die Digitalisierung wurden bereits Integrationen im öffentlichen Verkehr sowie in Carsharing- oder Ridesharing-Systemen erreicht, was die Effizienz automobiler Systeme steigert. Wir sehen eine wachsende Akzeptanz im öffentlichen Verkehr und eine steigende Tendenz zur Nutzung nachhaltiger Transportmittel.

Trotz dieser Fortschritte stehen wir enormen Herausforderungen gegenüber. Das aktuelle politische und ökonomische System, geprägt von Lobbyismus und dem Streben nach kurzfristiger Machtmaximierung, behin-
dert langfristige Planungen und nachhaltige Strategien. Dies ist sowohl in der Privatwirtschaft als auch in der Politik sichtbar, wo der Druck, schnellstmöglich ökonomischen Profit zu generieren, oft langfristige Überlegungen überlagert.

Unsere Raum- und Siedlungsstrukturen haben sich auf der Basis einer sehr effizienten Automobilität entwickelt, insbesondere seit den 1970er Jahren. Die damals getroffenen Entscheidungen für eine autogerechte Stadt und den Ausbau der Autobahnen wurden durch massive Investitionen gestützt, deren wirtschaftliche Vorteile wir noch heute genießen. Doch diese Strukturen und die damit verbundenen Verhaltensroutinen stellen nun Hemmnisse dar, die es schwierig machen, die notwendigen Innovationen durchzuführen.

Die massiven strukturellen Veränderungen, die wir benötigen, sind so tiefgreifend, dass sie ohne eine Art umfassenden Neuanfang, eine komplette Abkehr von der bestehenden Verhältnisse schwer vorstellbar sind. In einer Welt, in der soziale und geopolitische Spannungen sich zuspitzen – schauen wir auf die Kriege in Osteuropa und im Nahen Osten–, kann ein radikaler Neuanfang als gangbarer Weg erscheinen. Schon Heraklit wusste: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Diese Sichtweise ist aber verzweifelt und sollte nicht unser Denken sein. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, wie wir die bestehenden Hemmnisse überwinden und ein umfassendes, zukunftsorientiertes Szenario schaffen können, in dem alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenarbeiten, um die notwendigen Veränderungen herbeizuführen.

Für den Bereich der Konsumenten denke ich, dass wir positivere Narrative brauchen. Das ist das Einzige, das wir als rechtschaffende Intellektuelle zurzeit beitragen können.

Angesichts der von dir beschriebenen Herausforderungen und Hemmnisse, bist du also nicht besonders zuversichtlich, dass eine umfassende Mobilitätswende in naher Zukunft realisiert wird?

Trotz meiner gelegentlichen Skepsis darf man nicht alles glauben, was man denkt. (lacht) Ich versuche, einen kritischen Abstand zu meinen eigenen, manchmal apokalyptischen Gedanken zu wahren. Je mehr ich nachdenke, desto mehr scheinen sich zwar meine Befürchtungen zu bestätigen, aber es gibt auch Gründe zur Hoffnung. Besonders inspiriert hat mich die junge Generation, die im Zuge der Bewegung um Greta Thunberg aufgestanden ist. Diese Dynamik ist keineswegs verschwunden. Es gibt viele kluge Köpfe in Ministerien, Unternehmen und der Zivilgesellschaft, die engagiert an Lösungen arbeiten.

Das eigentliche Problem ist die notwendige Geschwindigkeit, mit der wir erst in der Lage wären, ein kooperatives und kollaboratives Gesellschaftsmodell aufzubauen, das stark genug wäre, um die drängendsten globalen Probleme gemeinsam zu lösen. Obwohl die Innovationen da sind – wie beispielsweise in der Digitalisierung, die viele neue Möglichkeiten eröffnet hat – hängt viel davon ab, ob wir schnell genug handeln können. Das Beispiel von Homeoffice während der Pandemie zeigt, wie schnell sich Gesellschaften anpassen können, wenn die Umstände dies erfordern.

Die Herausforderung liegt darin, diese Anpassungsfähigkeit in den Alltag zu übertragen, ohne dass eine Krise als Katalysator wirkt. Wir müssen erkennen, dass technologische Innovationen allein nicht ausreichen; sie müssen durch politische, ökonomische und soziale Innovationen ergänzt werden. 

Auch die Art und Weise, wie wir über work life balance denken, verändert sich rapide – dies könnte ein Vorbote für größere gesellschaftliche Veränderungen sein. Das reflektiert unsere Gesellschaft. 

Wenn wir nach China blicken, erkennen wir eine Gesellschaft, die stark kollektiv formatiert ist. Dies könnte man ungeachtet der ethischen Problematik  im Kontext der Klimaproblematik positiv bewerten. China sieht sich als aufstrebende Weltmacht, die eine ähnliche Dominanz wie die USA anstrebt. Das amerikanische Modell wird herausgefordert. Wenn wir nach China blicken, erkennen wir eine Gesellschaft, die stark kollektiv formatiert ist und sich stark digitalisiert. Dies könnte man ungeachtet der riesigen ethischen Problematik im Kontext der Klimaproblematik womöglich positiv bewerten, wenn man annimmt, dass die bereits existierenden chinesischen Social- Scoring- Sys- teme zur Kontrolle und Überwachung klimagerechten individuellen Verhaltens eingesetzt werden könnten. Diese Praxis wird derzeit bei den Uiguren als Form der totalitären Kontrolle angewandt, jedoch wird sie zunehmend auch in der gesamten chinesischen Gesellschaft implementiert. Angenommen, China würde sich vollständig auf eine massive und drastische Klimatransformation einstellen, könnten sie das Verhalten bis auf die individuelle Ebene steuern und dadurch ein politisches Machtinstrument auf hochtechnologischer Basis nutzen, was hier jedoch unvorstellbar wäre. Wenn man bereit wäre, Nachhaltigkeit über die freiheitliche Demokratie zu stellen, könnte dies als ein positiver Teilaspekt betrachtet werden, obwohl es natürlich nicht wünschenswert ist. 

Brauchen wir, ähnlich wie in China, drastische Maßnahmen oder ist ein nationales Aha-Erlebnis – vergleichbar mit dem Fukushima-Effekt –, notwendig, um eine entscheidende Wendung in unserer Mobilitätspolitik herbeizuführen, bei der plötzlich alle umdenken und sagen: „Jetzt reicht es!“?

Ich bin skeptisch, dass die Menschen schnell aus Krisen lernen. Ein Beispiel dafür bietet das Ahrtal nach den verheerenden Überschwemmungen.

Trotz der offensichtlichen Risiken und des Wissens um die potenziellen Folgen solcher Katastrophen für das politische Finanzsystem in Deutschland, wurde wieder an denselben Orten aufgebaut. Es scheint, als hätte das Thema Klimaresilienz nicht ausreichend verfangen.

Man hat zwar Krisenreaktionsformen entwickelt, aber die grundlegenden Entscheidungen bleiben unverändert. Das zeigt, dass auch schwerwiegende Ereignisse nicht zwangsläufig zu einem Umdenken führen. Dies legt nahe, dass ein einzelnes Aha-Erlebnis möglicherweise nicht ausreicht, um tiefgreifende Veränderungen in der Mobilitätspolitik oder in der gesellschaftlichen Einstellung zu Umwelt- und Klimafragen herbeizuführen.

In unserer Gesellschaft gibt es meiner Meinung nach viele Probleme, die auf einen Verfall der Sitten und eine Selbstbedienungsmentalität hindeuten. Ein Teil davon wird meiner Ansicht nach auch durch die etablierte ökonomische Theorie vorangetrieben. Der Liberalismus, vertreten beispielsweise durch die FDP, ist in meinen Augen mindestens genauso bedenklich wie die AfD. Sie mögen sich eleganter geben, aber letztendlich verfolgen sie eine ebenso überdenkenswerte Lebenshaltung. Das Gleiche sehen wir auch bei der CSU, die seit 30 Jahren die Politik der Bundes-CDU beeinflusst. Wir hatten drei  Verkehrsminister aus der CSU, von denen jeder seine eigenen Prioritäten hatte. Die Politik dieser Parteien hat dazu geführt, dass viele dringend notwendige Maßnahmen im Bereich Verkehrswende aus parteipolitischen Gründen nicht umgesetzt wurden. Anstatt die Verkehrsinfrastruktur im ganzen Land zu modernisieren und zu innovieren, wurde der Fokus darauf gelegt, Bundesstraßen und Autobahnen in Bayern auszubauen, um Wählerstimmen zu gewinnen. Dies hat dazu geführt, dass die gesamte Republik in Geiselhaft genommen wurde. Als Verkehrsforscher sprechen wir seit 20 Jahren über die Notwendigkeit, die etablierten Infrastrukturen zu modernisieren, was enorme Kosten verursacht. Nun kommen noch die Aufgabenstellungen der Klimaanpassung hinzu. Wir stehen an vielen Fronten vor Herausforderungen, die das Überleben unserer aktuellen Verkehrssysteme gefährden. Wir dürften sie jedoch nicht weiter ausbauen, obwohl sie weiterhin funktionieren müssen, um das ökonomische Modell aufrechtzuerhalten. Es gibt zahlreiche Innovationsbarrieren und Sachzwänge, die auftreten, wenn wir versuchen, Handlungsoptionen zu entwickeln. Es ist eine komplexe Situation, die dringend angegangen werden muss.

Stephan, vielen Dank für deine wertvollen Einblicke!

Stephan Rammlers Buch Schubumkehr, Die Zukunft der Mobilität erschienen 2014 im Verlag Fischer Taschenbuch, 336 Seiten, 12,99 Euro, ISBN 978-3596030798
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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.