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Seit vielen Jahrzehnten tobt ein unerbittlicher Streit zwischen Befürwortern und Gegnern verschiedenster Ernährungsformen und Diäten – teilweise mit ideologischer Verbissenheit wird das Pro und Contra in Bezug auf unterschiedlichste Lebensmittelmischungen geführt. Wir haben mit der Fachärztin für Allgemein- und Ernährungsmedizin Frau Dr. Bracht gesprochen, um mehr darüber zu erfahren, was wir selbst tun können, um gesund zu werden und zu bleiben.

Illustration: Julia Ochsenhirt

Frau Dr. Bracht, was war ihr Aha-Erlebnis, Ernährung als Gesundheitsfaktor zu erkennen?

Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, ist meine Pflegemutter sehr krank geworden. Ich habe miterlebt, wie ihr Krankheitsverlauf immer schlimmer wurde. Damals habe ich begonnen, mich für das Thema Medizin zu interessieren. Ich habe bei ihrer Hausärztin gearbeitet, weil ich irgendeinen Einstieg in den Beruf schaffen wollte. 

Als es dann so weit war, dass ich mich entscheiden musste, was ich studieren oder lernen wollte, habe ich mich für ein Medizinstudium an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main entschieden. Ich war in dem Glauben, dass, wenn ich Medizin studiere, ich den mir liebsten Menschen, meine Pflegemutter, heilen könne. Das war mein Anspruch, damit bin ich angetreten. Es kam allerdings ganz anders, als ich gedacht habe. Meine Pflegemutter starb, als ich im ersten Semester war.

Durch Zufall hat mich dann Anfang der 1990er Jahre mein Mann auf das Buch Fit fürs Leben von Harvey Diamond aufmerksam gemacht. Ich habe es dann gelesen und dachte: „Das glaube ich jetzt alles nicht.“ In diesem Buch stand, dass der Mensch 16 Stunden nichts essen sollte und während acht Stunden zwei bis drei Mahlzeiten. Das war die eine Botschaft. Die andere war, sich so viel wie möglich pflanzlich zu ernähren – auch in reiner Rohkost-Form – und die Krankheiten verschwinden, neue kommen nicht mehr dazu. Und ich dachte: „Wenn das stimmt, ist es genau das, was ich gesucht habe.“ 

Irgendwie liegt es ja auch sehr nahe, dass wir von dem leben, was wir essen. Ich habe daraufhin ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass es in Deutschland einen wissenschaftlichen Beirat zu diesem Thema gibt. In diesem Beirat war damals schon Prof. Claus Leitzmann, mit dem ich kürzlich das Buch Klartext Ernährung herausgegeben habe. So habe ich meinen Lehrer und heutigen Freund kennengelernt.

Wenig später gehörte ich auch zum Beirat und übernahm einen Lehrauftrag an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main über die Zusammenhänge von Ernährung und Gesundheit.

Und für all die Krankheiten ist nur unsere Ernährung verantwortlich? Ist nicht auch unser sonstiger Lebenswandel schädlich?

Das ist eine schöne Frage! Am Anfang habe ich tatsächlich gedacht: Ernährung ist alles! Davon war ich überzeugt. Aber das ist natürlich nicht wahr. Ernährung ist eine ganz wichtige Basis, aber die Umwelt, das Umfeld, wie wir miteinander umgehen, ob wir viel ungesunden Stress haben, das gehört alles dazu. Und Bewegung ist noch einmal ein ganz großer Part. Das darf man alles nicht außen vor lassen. Prof. Leitzmann und ich hatten im Buch nur ein Kapitel, um darauf einzugehen – weil es nur 300 Seiten stark werden sollte. In meinem Buch Meine Gesundheitsformel habe ich all das berücksichtigt, genau wie in meinem ersten Buch aus dem Jahr 2000 mit den drei Säulen Ernährung, Bewegung und Achtsamkeit. Das war damals noch ein bisschen früh. Aber es war da schon klar, dass Ernährung unglaubliche Power hat. 

Worin besteht die Power?

Nehmen Sie die Forschung rund um das Darmmikrobiom, die Darmflora. Diese ist lange Zeit von der Medizin negiert worden. Wir Erfahrungs- oder Naturheilkundler*innen haben immer schon gesehen, dass, wenn Menschen mit dem Darm Probleme hatten, daraus durchaus auch andere Erkrankungen heraus resultierten. Das habe ich immer wieder beobachtet, aber es kam kaum Resonanz von der modernen Medizin. Das hat sich inzwischen gewandelt, weil man herausfand, welche Bedeutung die Darmflora für unsere Gesundheit hat. Wir wissen heute, dass die meisten Zivilisationskrankheiten etwas mit unserem Darm zu tun haben. Je nachdem, welche Darmbakterien in uns wohnen, sind sie entweder gut oder schlecht für uns. Wir tragen ungefähr tausend verschiedene Arten von Darmbakterien in uns. Je größer die Diversität ist, desto gesünder sind wir und desto besser funktioniert unser Immunsystem. Es besteht ein direkter Zusammenhang. Da der Darm mit unserem Essen in Berührung kommt, hat Ernährung logischerweise sehr viel mit unserer Gesundheit zu tun. 

Welche Auswirkungen hat denn unsere Ernährung auf die Darmflora?

Mal schnell auf eine Formel gebracht: Pflanzliche Ernährung füttert die guten Mikroben, tierische Ernährung füttert hingegen die schlechten. So einfach ist das. Und das weiß man heute auch. 

Es gab dazu ein Experiment mit einer Gruppe steriler Mäuse und einer Gruppe Mäuse, die an Diabetes Typ 2 erkrankt waren. Man hat die Darmflora der erkrankten Mäuse in die sterilen Mäuse transplantiert. Die gesunden Mäuse sind daraufhin an Diabetes erkrankt. Das Gleiche hat man mit übergewichtigen Mäusen gemacht. So wurden die sterilen Mäuse auch übergewichtig. 

Als James Parkinson 1817 die nach ihm benannte Parkinson-Krankheit entdeckte, beschrieb er, dass einige seiner Patient*innen über Darmbeschwerden geklagt hatten – und zwar viele Jahre vorher schon. Man weiß heute, dass Menschen, die chronisch am Darm erkranken, ein höheres Risiko haben, an Parkinson zu erkranken. Ich kenne übrigens kaum Menschen, die keine Darmprobleme haben …

Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Zivilisationskrankheiten? Haben diese alle nur mit Ernährung zu tun?

Alle! Alle Zivilisationskrankheiten gehen auf unsere Ernährung zurück. Wir haben alle, die wir gesund oder krank sind, ein Darmmikrobiom. Also haben alle Erkrankungen damit zu tun. Ich finde es absurd, dass wir den Begriff Zivilisationskrankheiten einfach so hinnehmen. Mit anderen Worten heißt das doch, dass uns die Zivilisation krank macht. Warum nimmt man es nur hin und denkt nicht darüber nach? Ich hätte es gern, dass die Menschen wach werden. 

Sie haben vorhin die einfache Formel genannt, sich so viel wie möglich pflanzlich zu ernähren und die Krankheiten verschwinden, neue kommen nicht mehr dazu. Tierische Lebensmittel sind zu meiden. Ist das alles, was wir tun können? Was ist zum Beispiel mit Zucker?

Zucker ist definitiv zu meiden, weil er die schlechten Darmbakterien füttert. Ich bin Veganerin. Sich vegan zu ernähren, heißt nicht gleich, gesund zu sein. Pflanzliche Ernährung muss bestimmte Nährstoffe beinhalten, und sie muss vollwertig sein. Es geht nicht darum, beispielsweise nur pflanzliche Fertigprodukte zu essen – die sind genauso schädlich wie tierische Fertigprodukte. Als wir damals unser Buch geschrieben haben, habe ich einmal recherchiert, wie viele Nahrungsmittelprodukte in einem normal großen Supermarkt angeboten werden. Es gibt um die 150.000 unterschiedliche Produkte – eine schier unglaubliche Menge! Um abwechslungsreich zu essen, bräuchten wir allerdings nur maximal 200 Produkte. Welche enorme Power hinter der Lebensmittelindustrie steckt, ist ein anderes Thema.

Was sind Ihre Top 10 für eine gesunde tägliche Ernährung?

Es gibt ein paar Regeln, die ich aufgestellt habe: Der Hauptteil der Nahrung sollte aus vollwertigen Kohlenhydraten bestehen. Unser Körper braucht täglich Hülsenfrüchte. Wir sollten jeden Tag 250 g Obst – am besten in Form von Beeren – und 400 g Gemüse zu uns nehmen. Dann brauchen wir eine Handvoll Nüsse am Tag und ganz viele grüne Blätter: Salate, Spinat, Mangold, Grünkohl. Darin ist Chlorophyll, das das Sonnenlicht speichert. Außerdem empfehle ich, viele Wildkräuter zu essen, weil diese die wichtigen sekundären Pflanzenstoffe, viele Vitamine und Mineralien beinhalten. Wenn man das alles abwechslungsreich kombiniert und das Intervallfasten einhält, dann bleibt man gesund und ist gut drauf.

Illustration: Julia Ochsenhirt

Das gesamte Gespräch in Band eins wie wir morgen essen und trinken wollen.

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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.

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