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Die Menschen warten darauf, errettet zu werden.

Um die Klimakrise nicht außer Kontrolle geraten zu lassen, muss unsere Energieversorgung in den nächsten 15 Jahren vollständig auf regenerative Energien umgestellt werden. Kaum einer behält dabei den Überblick, was möglich ist und wie die Systeme funktionieren. Wie kann die Energiewende gelingen? Wir fragten Prof. Volker Quaschning von der HTW in Berlin, was jetzt zu tun ist.

Prof. Dr.-Ing.habil. Volker Quaschning lehrt und forscht im Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin.

Herr Prof. Quaschning, seit dem Jahr 2000 versucht sich Deutschland an der Energiewende. Jetzt haben wir noch fünfzehn Jahre, um klimaneutral zu werden. Sind Sie mit der Entwicklung zufrieden?

Um es ein bisschen harmlos auszudrücken, Deutschland stellt sich eher mäßig gut an. Man kann, wenn man ein Zeugnis ausstellen müsste, höflich formulieren, dass sich unsere Regierung sehr bemüht hat. 

Man muss fairerweise zum Schutz der Regierenden sagen, dass in den 1990er-Jahren die erneuerbaren Energien technologisch noch nicht ausgereift und sehr teuer waren. Dass heißt, man musste seinerzeit im ersten Schritt die Technologie marktreif machen und dann erst preiswert in den Markt einführen – das hat man mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) durchgesetzt. Bis Anfang der 2000er-Jahre ist das gut gelungen. Nach dieser Zeit hätte man den zweiten Schritt gehen und den Markt hochfahren müssen, damit wir auf ausreichende Größenordnungen für den Klimaschutz gekommen wären. Man hat aber genau das Gegenteil gemacht: Man hat den Markt wieder runtergefahren.

Ergo hat man erst mit vielen Steuergeldern und hohen Investitionen die Erneuerbaren konkurrenzfähig gemacht. Als dann die Technologie endlich stand und einsatzfähig war, hat man sich aus Respekt vor starken Veränderungen im Markt zurückgezogen. Die Entwicklung hätte schließlich einigen Unternehmen und Lobbies nicht gefallen können. Deswegen zog man sich zurück und hat den Markt den Chinesen überlassen.

Wo sind denn die wichtigsten Stellschrauben, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen? Welche sind, wenn wir es nur wollen, sofort und einfach umzusetzen, und wo haben wir echte Probleme?

Man sollte überlegen, was wir brauchen und was wir nicht mehr brauchen. Wir brauchen auf alle Fälle viel erneuerbare Energie, denn wir müssen unsere Energieversorgung klimaneutral gestalten. Wir können überdies auch versuchen, Energie einzusparen – denn alles, was wir nicht benötigen, ist auch gut.

Was wir nicht mehr brauchen, sind fossile Energieträger: Öl, Kohle und Gas. Und auch keine Anlagen, die diese nutzen und verbrennen. Das möglichst innerhalb von fünfzehn Jahren.

Jetzt kann man sich ausrechnen, dass ab heute keine Verbrennerautos mehr verkauft werden sollten, denn ein Automobil hat eine Lebensdauer von bis zu fünfzehn Jahren. Wenn ich weiß, dass ich in fünfzehn Jahren kein Öl und kein Gas mehr verfeuern kann, sollte ich heute auch keine solche Heizungsanlage in meinem Eigenheim einbauen. Das sind naheliegende Schritte. 

Natürlich kann man Autos und Heizungen auf Erneuerbare umrüsten. Das ist allerdings enorm teuer und aufwändig. Plan B wäre, die Autos und die Heizungsanlagen zu verschrotten, bevor sie ihr Lebensende erreicht haben. Das ist volkswirtschaftlich aber komplett unsinnig. Wir schaffen uns permanent Altlasten, die uns vor Probleme stellen werden.

Sind andere Länder in dem Punkt weiter als Deutschland?

In Dänemark hat man schon 2013 den Einbau von Öl- und Gasheizungen untersagt. In Deutschland traut man sich da nicht ran – selbst von den Grünen kommt da nichts. Das Verbot von Verbrennermotoren ist in Deutschland scheinbar ein heißes Eisen.

Wie sieht es bei der Entwicklung und Nutzung von Erneuerbaren aus?

Da kann man mit der Drei-Satz-Rechnung arbeiten. Wir haben zur Zeit zwanzig Prozent erneuerbare Energien – dafür haben wir dreißig Jahre gebraucht. Dabei darf man nicht nur auf den Strom schauen – da sind wir bei knapp der Hälfte. Wir haben schließlich auch noch die Themen Wärme und Verkehr. Wenn wir also für zwanzig Prozent dreißig Jahre gebraucht haben und nun in fünfzehn Jahren die restlichen achtzig Prozent schaffen wollen, dann muss man nicht studiert haben, um zu erkennen, dass wir mit dem Ausbau von Sonne und Wind wesentlich schneller werden müssen. 

Der Ausbau von Windkraftanlagen wurde allerdings im Gegenteil in den letzten Jahren ausgebremst – aus Angst vor den Populisten und auch, um die Kohlewirtschaft zu schützen. Der Kohleausstieg soll erst 2038 erfolgen. Aus diesen Gründen sind wir um den Faktor fünf bis sechs zu langsam in der Umsetzung. Das wird uns früher oder später auf die Füße fallen.

Bei den E-Autos sind die Hersteller schon auf einem guten Weg. Gibt es für Heizungs- oder etwa bei Industrieanlagen schon gangbare Lösungen?

Die Technologien sind bekannt, da müssen wir nichts mehr entwickeln. Das Narrativ der FDP, dass wir Mitte der 2030er-Jahre eine phantastische Erfindung aus der Industrie erwarten können, die die Welt ab 2035 klimaneutral macht, ist natürlich naiv. Auf eine solche Erfindung können wir uns nicht verlassen. Wir müssen die alten durch neue Technologien, die wir uns leisten können, ersetzen.

Dieser Prozess ist allerdings ein Marathonlauf. Zum Beispiel müssen sechszehn Millionen Einfamilienhäuser umgerüstet und gedämmt werden. Das ist eine Mammutaufgabe, deren Umsetzung eine gewisse Zeit braucht. Deswegen müssen wir jetzt anfangen und nicht auf ein Wunder à la FDP warten.

Die Technologie ist da: Überall, wo es machbar ist, sollte die elektrische Wärmepumpe eingesetzt werden. Sie benötigt nur ein Fünftel der Energie der Gasheizung. Diese Technologie muss der Standard werden. Die Verkaufszahlen der Wärmepumpen steigen, sie müssten aber noch verzehnfacht werden. Dafür braucht man entsprechende politische Programme.

Bei der Industrie ist es unterschiedlich: Es gibt Industrien, die nur Energie verbrauchen. Und solange sie aus Erneuerbaren ist, ist das die Lösung. 

Dann gibt es Industrien, die CO2 über Prozessenergie zum Beispiel in der Zement- oder der Stahlherstellung emittieren. Auch da gibt es Ideen, wie man die Prozesse umstellt. Beim Stahl könnte man auf grünen Wasserstoff setzen. Bei der Zementherstellung muss man das CO2 auffangen und endlagern. Das wird die Stoffe teurer machen. Dafür sind Regeln zu entwickeln – es hilft ja nichts, die Probleme auszusitzen.

Als eines der ersten Länder, die umstellen, hätte man sogar einen Wettbewerbsvorteil, wenn man grünen Stahl oder grünen Zement anbieten und verkaufen kann. Dafür gibt es sicherlich einen Weltmarkt.

Klimaschutz gibt es nur mit Verdoppelung des Stromverbrauchs. Ist das in den Köpfen der Regierungsparteien schon angekommen? Stimmen deren Rechnungen?

Sehr bedingt! (lacht) Wir hatten eine Novellierung des EEG. In diesem Papier hat man Ausbaukorridore für die Solar- und Windenergie definiert. Ausgangslage war, dass der Stromverbrauch bis 2030 konstant bleibt. Da musste ich schmunzeln.

Hintergrund: Man hat für 2038 den Kohleausstieg vereinbart. Wenn man jetzt sehr schnell die Erneuerbaren hinzubauen würde, führte das zu mehr Fluktuation, und der Kohleausstieg käme früher. Diese Story, die man zwischen den Zeilen lesen kann, wird aber nicht erzählt. Im Gegenteil: Man rechnet den Verbrauch erneuerbarer Energien runter – bei gleichbleibendem Stromverbrauch. Wenn weniger Anlagen für Strom aus erneuerbaren Energiequellen gebaut werden, gibt es weniger Fluktuation – eine Lebenszeitverlängerung für die Kohlekraftwerke. Um etwas anderes geht es da nicht.

Das war allerdings nicht durch alle Regierungslager Konsens: Die SPD erkannte einen steigenden Strombedarf – jedoch nicht in den prognostizierten Dimensionen. Da man sich aber nicht einigen konnte, hat man das Problem auf nach der Wahl vertagt.

Ich verstehe es nicht: Wir stehen mit dem Rücken zur Wand; da muss man als Regierung Lösungen liefern. Vor allem die Union tut so, als wenn wir alle Zeit der Welt hätten. 

Jede Entscheidung, die man im Energiesektor trifft, sorgt natürlich für sehr starke Veränderungen. Wenn man den Ausbau von Anlagen für Strom aus erneuerbaren Energiequellen beschleunigt, dann benötigt man – Problem Nummer eins – auch sehr schnell Speicher. Löst man das Problem nicht, bekommen wir Versorgungslücken. Problem Nummer zwei: Wenn sehr schnell die Erneuerbaren ausgebaut werden, braucht man die Kohle nicht mehr. Was man jetzt den Kumpels versprochen hat – einen behutsamen Ausstieg bis 2038 –, wird so nicht stattfinden. Denn eigentlich müssten wir uns schon 2030 von den Kohlekraftwerken verabschieden. Das sorgt natürlich für Verstimmungen  und für Menschen, die die AfD wählen. Das versucht man zu vermeiden und auszusitzen.

Mir kommt es so vor, als wenn wir mit Tempo 200 auf eine Betonmauer zurasen und uns Sorgen um die Bremsbeläge machen, wenn wir jetzt in die Eisen steigen. Aber einfach weiterzufahren ist auch keine Lösung.

Wie viele Anlagen für Photovoltaik und Windkraft brauchen
wir eigentlich?

Der Unmut gegen die Windräder wird sehr stark instrumentalisiert. Es gibt Umfragen, die besagen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung – über achtzig Prozent – einen weiteren Ausbau der Windkraftanlagen befürwortet. Eine Minderheit von knapp zwanzig Prozent ist aber entsprechend laut, um in den ländlichen Gebieten einen Konsens zu erzielen. Das gilt es zu überwinden. In einer Demokratie reicht es, wenn 51 Prozent dafür sind. Man muss den Gegenwind als Regierungsparteien einfach einmal aushalten. Okay, da ist eine laute Minderheit, die gegen Windräder ist und im Zweifel die AfD wählt. Dann tun sie das halt. Man kann nicht die Zukunft unserer Kinder opfern, weil man befürchtet, Wählerstimmen an die AfD zu verlieren.

Man kann durch geeignete Maßnahmen die Akzeptanz für Windenergie in der Bevölkerung steigern. Man hat nur in den letzten Jahren genau das Gegenteil gemacht. 

Wir haben vor zwanzig Jahren sehr viele Windparks gebaut, die sehr gut akzeptiert waren. Das waren in der Regel Bürgerwindparks, an denen sich die Bürger*innen vor Ort beteiligen konnten. Das ist natürlich ein Unterschied: Entweder ist die Anlage häßlich und laut und ich mag sie nicht oder jede Umdrehung des Rotors ist ein Euro mehr für die Haushaltskasse. In dem Moment sieht die Bereitschaft für die Windenergie schon wieder ganz anders aus. Und da muss man versuchen wieder hinzukommen.

Deswegen würde ich den Umfragen widersprechen, dass es da so große Widerstände gäbe. Das ist ein Narrativ der CSU oder von Armin Laschet: Die Bürger*innen wollen keine Windparks, dann bauen wir sie halt nicht.

Die Coronamaßnahmen wollten die meisten auch erst mal nicht. Aber wenn man das gescheit kommuniziert und den Menschen erklärt, dass sie von den Maßnahmen profitieren, dann bekommt man satte Mehrheiten für die Politik hin.

Was müssen wir machen? Wir müssen die Zahl der Windräder an Land etwa verdoppeln. Wir gehen davon aus, dass wir zwei Prozent der Landesfläche als Windeignungsgebiete brauchen. Mehr geht auch nicht bei Anwendung von fairen Abstandsregeln und Einhaltung von Naturschutzgebieten. 

Und wir sollten alle Offshore-Möglichkeiten, auch wenn sie noch so begrenzt sind, in der Nord- und Ostsee nutzen. 

Für Photovoltaikanlagen brauchen wir ein gutes Prozent der Ackerflächen und alle geeigneten Dächer.

Mit diesen Maßnahmen schaffen wir es, Deutschland klimaneutral zu versorgen.

Ich habe letztes Jahr gelesen, dass man mit Überdachungen von Autobahnen mit Photovoltaik in Deutschland ein riesiges Potenzial für die Stromerzeugung hätte. Haben Sie davon gehört? Was halten Sie davon?

Ja, die Idee ist nicht neu: Schon vor zwanzig Jahren hat man entsprechende Lärmschutzwände gebaut. Die Autobahnen komplett zu überdachen ist vielleicht ganz nett, weil man dann im Trockenen fährt und im Winter nicht streuen muss. Diese Lösung würde aber sehr teuer sein. 

Es gab auch schon die Idee, Straßenbeläge auf Photovoltaik aufzubauen. Dagegen spricht allerdings auch einiges. Und man muss schauen, dass es am Ende auch bezahlbar bleibt. 

Eine zukunftsweisende Idee ist Agrarphotovoltaik. Das ist eine Kombilösung aus Photovoltaik und Landwirtschaft. Die Idee dahinter ist, dass man die Solarpanels senkrecht in Reihen aufstellt und quasi dazwischen Landwirtschaft betreibt. Da gibt es inzwischen Prototypen, die sich rechnen und sehr gut funktionieren. Auf diese Weise können wir sehr, sehr viel Strom ernten.

Bei den Anlagen für regenerative Energien gibt es auch noch so exotische wie Gezeitenkraftwerke. Es werden viele Alternativen diskutiert. Ich nenne mal drei Stichworte: Wasserstoff, Kernkraft und CCS. Wie sind Ihre Einschätzungen dazu?

Erneuerbare Energiequellen gibt es natürlich deutlich mehr als nur Sonne und Wind. Die Wasserkraft, die Biomasse, die Geothermie, die Gezeiten. Wenn wir es positiv rechnen, können alle zusammen auf vielleicht zwanzig Prozent in Deutschland kommen. Grundsätzlich machen alle Erneuerbaren Sinn, aber die Potenziale sind  aus verschiedenen Gründen eher gering. Für Biomassekraftwerke wächst einfach nicht genug in Deutschland. Für Wasserkraft fehlen uns ausreichend viele Berge. Für Erdwärme-Lösungen müssten wir sehr tief bohren. Damit würden diese Energien auch viel zu teuer.

Kann Deutschland nicht mit Technologielösungen die Länder unterstützen, bei denen die Voraussetzungen andere sind? Die ausreichend Berge, Land oder Küste bieten? Wären das nicht Zukunftsmärkte, die noch wenig besetzt sind?

Wenn wir die Technologien entwickeln würden und an den Markt brächten, wäre das eine gute Idee. Die Chinesen haben das vor mehr als zehn Jahren erkannt und liegen bei den Erneuerbaren zahlenmäßig einsam an der Spitze. Sie machen das allerdings nicht, um das Klima zu retten, sondern um die Weltmarktführerschaft bei neuen Technologien zu übernehmen. 

Diese Entwicklungen hat China längst erkannt – Deutschland nicht. Aus diesem Grund kommen mehr als die Hälfte aller Solarmodule weltweit aus China, und nicht mehr aus Deutschland, von wo sie einmal kamen. 

Ganz klar: Das sind Zukunftstechnologien, mit denen man in Zukunft Geschäft machen wird. Mit Dieselautos und Braunkohlebaggern eher weniger.

Die Wirtschaft muss schauen, dass wir in Deutschland nicht auf den alten Technologien sitzen bleiben. Ein Großteil unseres Wohlstandes hängt von Technologien ab, die Zukunft haben. Da müssen wir rechtzeitig den Shift hinbekommen.

Kommen wir noch einmal zurück zu den drei Stichworten Wasserstoff, Kernkraft und CCS. Was ist wovon zu halten?

Fangen wir einmal mit dem letzten Stichwort an: CCS. Das ist eine Idee, CO2 abzuscheiden und zu speichern. Damit hatte man schon vor zwanzig Jahren versprochen, Kohlekraftwerke sauber zu machen. Heute spricht man nicht mehr davon, weil die Technologie zu teuer ist und Kohlekraftwerke damit nicht mehr wirtschaftlich laufen können.

Jetzt verspricht man das Ganze bei Erdgas – ein echtes Déjà-vu. Das CO2 wird abgetrennt und schon haben wir sauberes Erdgas – in dem Fall Wasserstoff. Das wird aber genauso wenig funktionieren wie bei der Kohle, denn das Abtrennen bleibt teuer und ist nicht rentabel.

Wir werden CCS aber trotzdem brauchen. Denn es gibt Bereiche, für die wir noch keinen Plan B haben: zum Beispiel bei der Zementherstellung, bei der CO2 entsteht. Bis andere technologische Lösungen entwickelt sind, müssen wir das CO2 einlagern.

Kommen wir zum zweiten Stichwort: Wasserstoff. Auch den werden wir in einigen Bereichen brauchen, weil wir keinen Plan B haben. Nun haben einige Leute – auch in der Politik – erkannt, dass Wasserstoff grün und sauber sei, wenn man ihn aus erneuerbaren Energien herstellt. Das Problem ist, dass grüner Wasserstoff etwa zehnmal so teuer ist wie Erdgas.

Sicher, es wird technologische Fortschritte geben, aber Wasserstoff wird in zehn Jahren immer noch dreimal so teuer sein wie Erdgas.

Der Endverbraucher kann sich darauf einstellen, dass, wenn seine Heizung in zehn Jahren von Gas auf Wasserstoff umgestellt wird, seine Rechnung mindestens dreimal so hoch sein wird. 

Wo wir in absehbarer Zeit keinen Plan B haben, ist der Flugverkehr. Das ist ein Bereich, in dem Wasserstoff Sinn macht und eingesetzt wird.

Ihr drittes Stichwort war Kernenergie. Das können wir ganz schnell abhaken. Kernenergie deckt weltweit etwa drei Prozent des Endenergiebedarfs ab. Von der Planung bis zu dem Zeitpunkt, wo das Kernkraftwerk elektrische Energie in ein öffentliches Stromnetz einspeist, vergehen zwanzig Jahre. Wir müssen allerdings in fünfzehn Jahren klimaneutral sein. Mit anderen Worten müssten wir heute damit beginnen, Tausende kleiner Kernkraftwerke zu planen. Im Vergleich zur Windenergie dürfte die Durchsetzung solcher Anlagen eine große Herausforderung sein. So ein Windrad ist im Vergleich zu einem Kernkraftwerk relativ harmlos. Das wird gesellschaftlich nicht durchsetzbar sein.

Die versprochene klimapolitische Neuausrichtung der USA beinhaltet nicht nur den Ausbau von erneuerbaren Energien, sondern auch massive Subventionen für die Atomindustrie. Warum legen die Amerikaner Wert auf diese Technologie?

Die von Bill Gates ins Leben gerufene Koalition Breakthrough Energy mischt im Markt für neue Reaktoren kräftig mit und finanziert nicht nur diverse Atom-Start-ups, sondern betreibt weltweit Propaganda für Atomtechnologie. Ich sehe in den westlichen Ländern keine Chance, dass Kernkraft durchsetzbar wäre – auch nicht, wenn es Tausende von kleinen Werken wären, die überall verteilt werden würden. Auch wenn sie sicherheitstechnisch besser als die Altanlagen wären, bliebe immer noch ein hohes Risiko, dass etwas passiert und der Schaden groß wäre. Aus diesen Gründen wird man in westlichen Ländern für diese Technologie keine Akzeptanz herstellen können.

Im Übrigen: Selbst China baut inzwischen mehr Anlagen im Bereich der Regenerativen. Wäre die Kernkraft eine lohnende Zukunftstechnologie, würde China sie mit all ihrer Staatsmacht gesellschaftlich durchdrücken.

Wir werden aber immer einen kleinen Teil Kernenergie haben, schon allein deswegen, weil die Technologie militärisch interessant ist. Nordkorea oder der Iran setzen nicht auf Kernenergie, weil es so unglaublich preiswert oder klimaneutral ist, sondern weil sie eben auch andere Interessen haben. Für den Klimaschutz ist Kernkraft insgesamt mit Anwendungen im unteren einstelligen Bereich absolut irrelevant.

Hat Corona die Denke über die Klimakrise in der Bevölkerung eher zum positiven oder eher zum negativen verändert?

Corona hat zuerst die Klimakrise aus dem Bewusstsein verdrängt. Vorher war der Klimawandel ein sehr großes Thema. Hat Corona das Denken und Handeln der Menschen verändert? Ich denke, man hat kurz inne gehalten. Aber seit die Flugzeuge wieder fliegen, steigen die Menschen auch wieder ein und verreisen nach Mallorca wie vorher. Der Mensch ist ziemlich beratungsresistent.

Corona hat zur Bewältigung der Klimakrise nicht wirklich geholfen. Ob’s geschadet hat, muss man langfristig sehen.

Die Medien haben sich in den letzten Monaten Mühe gegeben, den Klimawandel wieder in den Fokus zu nehmen. Wenn Sie sich die Parteiprogramme von den Grünen, der CDU/CSU, der SPD und der Linken sowie der FDP anschauen, haben Sie da ein gutes Gefühl, dass die Parteien mutiger die richtigen Schritte in die richtige Richtung einleiten? Welche Partei hat ihre Hausaufgaben gemacht?

Ich war entsetzt, als ich die Parteiprogramme gelesen habe. Es gibt keines, das ausreichend ist, um die nötigen Schritte zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens einzuleiten. Am nächsten dran sind noch die Grünen, wo die Diskrepanz zu dem, was man tun müsste, nicht ganz so groß ist. Bei der CSU findet man lediglich ein paar blumige Sprüche. 

Wenn wir in fünfzehn Jahren klimaneutral sein wollen, bedeutet das auch, dass wir einschneidende Veränderungen brauchen. Der Abschied von der Kohle, vom Verbrennermotor und von Heizungen, die herkömmlich befeuert werden. All das bedeutet auch Mehrkosten, die sozial abgefedert werden müssen. Man müsste über alle Parteien hinweg ehrlich miteinander diskutieren. Okay, wir brauchen radikale Veränderungen. Im Rahmen dieser Veränderungen gäbe es auch andere politische Ideen, die man umsetzen könnte. Es gibt nicht den Königsweg, den man gehen könnte.

Wir wissen, dass wir viel Sonnenenergie und viel Windenergie brauchen. Wie aber sieht das Vermarktungskonzept aus? Wer profitiert davon? Machen das eher größere Akteure oder sind das eher kleinere? Das sind alles Fragen, die man diskutieren könnte. Es ginge nicht mehr um das Ob, sondern mehr um das Wie. Diese Diskussionen finden gerade nicht statt.

Wie das Verfassungsgericht schon formulierte: Wir werden massivste Freiheitseinschränkungen haben – das sei den meisten Menschen noch nicht klar –, wenn wir jetzt keine ausreichenden Klimaschutzmaßnahmen anpacken. In drei oder vier Jahren werden die Ergebnisse des Klimaschutzes überprüft. Wenn wir dann danebenliegen, werden die Gerichte Dinge festlegen. Vielleicht arbeiten die Parteien auch darauf hin, die schlechten Nachrichten den Gerichten zu überlassen.

Andererseits wird uns auch der Klimawandel Einschränkungen bescheren, wenn die schlimmsten Naturkatastrophen über uns kommen und dazu noch Flüchtlingsbewegungen und Hungersnöte. Wir konnten das in der Coronapandemie beobachten, wenn das System beginnt zu kippen und Zustände herrschen, die wir nicht mehr so gut kontrollieren können, dann haben wir einfach auch massive Freiheitseinschränkungen, die viel größer sind als der Abschied vom Dieselmotor. Diese Einschränkungen werden in den nächsten zwanzig Jahren auf uns zukommen – das ist den meisten noch gar nicht bewusst.

Mir fehlt die Ehrlichkeit in der ganzen Diskussion. Deshalb noch einmal: Wenn alle Parteien übereinkämen und die Wahrheit ehrlich aussprechen würden, würden die Menschen das auch akzeptieren. Die Leute warten darauf, errettet zu werden.

Herr Prof. Quaschning, vielen Dank für dieses Gespräch.

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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.