Kategorien
ernaehrung gesundheit kochen

finger weg!

Fertiggerichte fallen in das Spektrum von Convenience Food, also Produkte, die Verbrauchern bei der Zubereitung von Mahlzeiten Arbeitsschritte ersparen. Der Umsatz im Segment Convenience Food beträgt laut Statista im Jahr 2020 etwa 9.350 Millionen Euro. Wir fragten die Ernährungsexpertin Katarina Schickling, was sie von Convenience Food hält, ob wir gesundheitliche Schäden befürchten müssen und was sie von der Politik erwartet.

Zutaten für 4 Liter Hühnerbrühe – links traditionell gekocht, rechts Instantbrühe
(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Frau Schickling, wie kam es dazu, dass Sie sich mit Convenience-Produkten beschäftigt haben?

Vor zehn Jahren schon habe ich mich mit Fertiggerichten auseinandergesetzt, als ich mit Tim Mälzer für den Film Leben aus der Tüte zusammengearbeitet habe. Wir wollten einfach einmal wissen, was derartige Gerichte enthalten. Wie kann es zum Beispiel sein, dass man eine Brokkolisuppe in eine Tüte packen kann – einfach Wasser drauf, sieht aus wie Brokkolisuppe, fertig! Was macht die Industrie, damit das so funktioniert? Um das herauszufinden, haben wir verschiedene Gerichte angeschaut und ausprobiert.

Dokumentarfilmerin, Ernährungsexpertin und Bestsellerautorin Katarina Schickling
(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Ich war wirklich entsetzt, was uns da aufgetischt wird. Dass das nicht so wirklich toll ist, war mir schon damals bewusst, aber als ich damit angefangen habe, mich intensiver mit der Materie zu beschäftigen, war ich tatsächlich erschüttert. Und nun, zehn Jahre danach, war ich neugierig, ob sich nach so langer Zeit an den Rezepturen etwas geändert hat, ob die vielen Berichte und die große Empörung, all die Diskussionen zum Thema, etwa über um die Lebensmittelampel, letztlich etwas bewirkt haben. Das war die Motivation, noch einmal draufzugucken.

Kosten Fertiggerichte nicht mehr, als wenn ich die Zutaten für ein Gericht einzeln selber fürs Kochen einkaufe?

Ja, aber Sie brauchen Zeit. Letzten Endes ist das, was wir von der Industrie bekommen, der Faktor Zeit. Bei manchen Gerichten sparen Sie eine Menge Zeit. Einen Pizzateig zuzubereiten, ihn zu belegen und zu backen, dauert natürlich länger, als eine TK-Pizza zu backen. Einen Fond selber kochen dauert länger, als ein Schraubglas aufzudrehen. Aber: Das eine hat mit dem anderen zwar den Namen gemein, allerdings weder die Zutaten noch letztlich die Wertigkeit.

Wie trickst denn die Lebensmittelindustrie?

Es gibt zwei große Bereiche des Tricksens: den Geschmack und die Konsistenz. Ich beginne mit der Konsistenz.Schaut man sich die Zutatenlisten von Fertiggerichten an, stellt man fest, dass Wasser sehr oft sehr weit oben auf der Liste steht. Das ist klar, weil Wasser billig ist. Damit Wasser eine brauchbare Konsistenz bekommt und mir ein gutes Mundgefühl gibt, muss ich es irgendwie andicken. Dafür gibt es die sogenannten Verdicker. Lebensmittelrechtlich handelt es sich dabei um Zusatzstoffe – die haben auch alle eine E-Nummer. Der Gesetzgeber erlaubt den Herstellern aber auch, anstelle der E-Nummer den Namen zu nennen. Es muss nur die Funktion dabeistehen. Beispiel: Johannisbrotkernmehl als Verdickungsmittel. Johannisbrotkernmehl ist ein sehr schönes Beispiel, weil der Begriff irgendwie ein bisschen nach Bioladen klingt. Backt man daraus nicht auch glutenfreie Plätzchen? Das ist es nicht. Johannisbrotkernmehl ist ein industriell erzeugter, ernorm leistungsfähiger Verdicker – schon mit einer winzigen Menge bekommen Sie Wasser im Prinzip schnittfest. Und weil die Menge so gering ist, steht dieser Zusatzstoff auch meist ziemlich weit hinten auf der Zutatenliste. Mit einer Messerspitze davon verleiht man einem Liter Wasser eine joghurtartige Konsistenz. 

Ich würde die Finger davon lassen. Ich kaufe nichts, das Verdicker enthält. Ich habe vor vielen Jahren mit einem Molkereifachmann gesprochen, der meinte, dass es nicht sicher sei, was diese Mittel mit der Verdauung machen. Er selber würde diese Produkte seinen Kindern nicht zu essen geben. Eigentlich absurd: Wir essen Joghurt, weil er gut für die Verdauung ist. Aber die darin enthaltenen Verdickungsmittel stopfen gleichzeitig. Wenn Verdicker Wasser schnittfest macht, was macht er dann im Körper? 

In vielen Ratgebern ist zu lesen, dass das Sättigungsgefühl erst 20 Minuten nach Beginn einer Mahlzeit einsetzt. Wenn ich jetzt kleinere Portionen mit viel höherer Energiedichte esse, tapse ich in die Falle.

Wenn ich zu Hause eine Pizza backe, dann ist sie ein ganzes Stück größer als die Tiefkühlpizza. Trotzdem hat sie, wenn ich alle Zutaten zusammenzähle, deutlich weniger Kalorien als die gleiche Art Pizza aus dem Tiefkühlregal. Die kann ich aber viel schneller essen, weil sie kompakter ist. Na ja, und weil sie so klein ist, mache ich mir noch ein Brot, weil ich das Gefühl habe, ich hätte noch gar nicht viel gegessen. Und dann denke ich, es geht auch noch ein Nachtisch. Ich habe aber bereits völlig ausreichend gegessen. 

Auch diese kleinen Becher mit Nudeln zum Aufgießen sind keine Zwischenmahlzeiten für den kleinen Hunger: Das sind von der Kalorienzahl her tatsächlich vollwertige Mahlzeiten.

Heißt es nicht immer: für den kleinen Hunger zwischendurch?

Genau! 

Um dem aus dem Weg zu gehen, empfehlen Sie: einfach kochen?

Absolut! Es gibt viele Gerichte, für die man nicht stundenlang in der Küche stehen muss. 

Als ich damals mit Tim Mälzer auf Zutatenjagd gegangen bin, da standen wir wirklich fassungslos vor dem Regal, in dem diese Gewürzmischungen von Maggi und Knorr angeboten werden. Da war zum Beispiel Maggi Fix für Kartoffelgratin dabei. Was war da drin? Sahnepulver, ein bisschen Salz und Muskatnuss. Solche Zutaten sind keine Alchemie, für die ich jahrelang kochen lernen muss oder irgendwelche exotischen Gewürze benötige, sondern sie gehören zum ganz kleinen Einmaleins.

Und wofür brauche ich ein Hackbratenfix mit Gelinggarantie? Was genau soll nicht gelingen? Ein paar Kräuter dran, ein bisschen Salz, etwas Pfeffer, Ei untermischen, fertig. Das große Problem ist, dass die Leute nicht mehr kochen lernen. 

Das gesamte Gespräch in Band eins wie wir morgen essen und trinken wollen.

Sei der Erste, der diesen Beitrag teilt

Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.

Schreibe einen Kommentar