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freiwilligkeit ist vorbei!

„Der Ernährungs- und Agrarbereich muss jetzt so umgebaut werden, dass regionale Lebensmittel anhand einer Herkunftskennzeichnung erkennbar sind,  dass Projekte der regionalen Vermarktung institutionell gefördert werden und mehr Ernährungskompetenz vorhanden ist. Dazu braucht es systematische Programme und nicht nur hier und da kleine Modellprojekte“, meint Renate Künast, ehemalige Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was Politik leisten kann und muss.

Eckard Christiani im Gespräch mit Renate Künast
(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Frau Künast, es gibt ausreichend Gründe, über eine veränderte Ernährung und eine Agrarwende nachzudenken – alle für sich allein sind eigentlich schon ausreichend: unsere Gesundheit, die Klimakrise, das Artensterben, die Agrarkrise, letztlich auch die Coronakrise. Alle Krisen scheinen mit der Art und Weise, wie wir uns angewöhnt haben, uns zu ernähren, in Verbindung zu stehen. Sehen Sie das auch so?

Wissen Sie, was mich an Diskussionen zu diesem Thema stört? Am Ende geht es immer um das Individuum. Darum, wie wir uns als Einzelperson ernähren. Wir seien doch mündige Bürger, heißt es, man könne sich so oder so entscheiden. Für Food Waste sind wir auch als Individuum verantwortlich. 

Das lenkt aber den Blick weg von den Grundstrukturen. Deswegen würde ich nicht sagen „wie wir uns ernähren“, sondern „wie wir unsere Mittel zum leben herstellen“ – denn so nehme ich den gesamten Prozess in den Blick. Ob national oder international: Es fängt bei der Frage an, was wir dem Produzenten erlauben, wie er mit unseren natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen umgeht. Es fängt damit an, dass wir eine Industrie zugelassen haben, die Zucker und Palmfett als billige Rohstoffe betrachtet. Durch diese beiden Inhaltsstoffe werden Produkte fest, sehen gut aus, bekommen das richtige Gewicht – und machen uns überdies süchtig und abhängig. 

(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Wir haben Schönheitskriterien zugelassen. Die Möhre darf nicht einfach krumm wachsen, wenn im Erdreich ein Stein im Weg ist, denn dann kommt sie gar nicht erst in den Handel.

Wir haben in diesem Kontext Raubbau in internationaler Arbeitsteilung zugelassen: Die einen halten die Tiere, und die anderen stellen mithilfe von Chemikalien in Monokulturen das Futter für diese Tiere her. Wir roden Urwälder für Palmfett, wir stellen Zucker in Monokulturen her. Am Ende dieser Prozesse stehen hoch verarbeitete – sagen wir einmal: erfundene – Lebensmittel. Und zwar in einer Komposition, die nicht nur Umweltschäden – also die Klimakrise und das massive Artensterben – ausgelöst hat, sondern das Leben der Konsument*innen mehrfach belastet: durch die Folgen ebenjener Klimakrise und das Hüftgold an unseren Körpern.

In Zeiten wie diesen sind wir in den Lebensraum von Tieren vorgedrungen, zu denen wir sonst gar keinen Kontakt hätten. Wir haben sie sogar zu uns geholt und damit eine Pandemie begünstigt.

Übergewicht macht uns in einer solchen Zeit zu Risikopatienten. Ich würde sogar sagen: Die Pandemie und Diabetes gehören zusammen. Das ist das bildhafte Ergebnis davon, wie in dieser Welt unsere Mittel zum Leben, unsere Lebensmittel, produziert werden. 

Wenn man so etwas im Bundestag sagt, zieht das einen enormen Shitstorm nach sich, weil sich viele angegriffen fühlen. Ich finde allerdings, dass diese Sichtweise die einzig richtige ist. 

(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Das Tragische ist außerdem: Der Genuss geht auf diesem Weg verloren! Wenn man die Verpackungen hoch verarbeiteter Lebensmittel öffnet, kommt einem konzentriertes Artifical Flavour entgegen. Dieser Geruch und Geschmack sind nicht zu vergleichen mit denen der vielen Apfel-, Birnen- und Erdbeersorten oder einer aromatischen Möhre. Am Ende sind wir lediglich abhängig von Artifical Flavour und Zucker.

Die Verbraucher*innen möchten sich aber gut und gesund ernähren – ohne negative Auswirkungen auf Klima und Artenvielfalt. Veganismus und Vegetarismus sind auf dem Vormarsch, lesen wir in einer Studie des Landwirtschaftsministeriums unter Ministerin Julia Klöckner. Wie sieht die Zukunft unserer Ernährung aus und wer kümmert sich konkret in der Politik und den Verbänden darum?

Ich würde einen Kreis malen, um meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen. Aber ich glaube, wir sind an einem Scheideweg
angelangt. Gehen wir diesen Weg der Industrialisierung weiter? 

Damit meine ich übrigens nicht nur die Finanz- und Machtstrukturen im Agrarbereich, sondern die immer artifizielleren Lebensmittel. Oder
fangen wir alternativ an, einem neuen Leitbild der Agrarökologie oder des ökologischen Landbaus zu folgen? Das bedeutet nicht, dass das unbedingt der zertifizierte ökologische Landbau sein muss, obwohl diese Lösung natürlich optimal wäre.

Nehmen wir das Prinzip Agrarökologie: Es bedeutet, dass wir wirklich regenerativ arbeiten, dass wir uns in einen Kreislauf begeben, dem wir nicht mehr entnehmen, als wir in ihn auch wieder zurückführen. Es braucht ein Nullsummenspiel, um Artenvielfalt und gute Böden zu erhalten. Momentan sind wir auf dem absolut falschen Weg.

Das gesamte Gespräch in Band eins wie wir morgen essen und trinken wollen.

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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.

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