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Gespräch mit meiner Seele

Auszug aus dem Buch „Wir sind das Klima“ von Jonathan Safran Foer

(Illustration: Julia Ochsenhirt)

Du hast also … keine Hoffnung?

Nein. Ich kenne zu viele kluge und engagierte Menschen – keine neunmalklugen Narzissten, sondern gute Menschen, die ihre Zeit, ihr Geld und ihre Kraft dafür einsetzen, die Welt zu verbessern –, die niemals etwas an ihrer Ernährungsweise ändern würden, egal mit welchen Argumenten man sie zu überzeugen versuchen würde.

Wie würden diese klugen und sozial engagierten Menschen erklären, dass sie so wenig gewillt sind, anders zu essen?

Das würde man sie nie fragen.

Und wenn doch?

Dann würden sie vielleicht sagen, dass die Nutztierhaltung zwar ein System mit gravierenden Mängeln ist, die Menschen aber nun mal etwas essen müssen und tierische Produkte heute billiger sind denn je.

Und was würdest du ihnen antworten?

Ich würde sagen, dass wir zwar etwas essen müssen, aber nicht unbedingt tierische Produkte – es ist fast mit Sicherheit gesünder für uns, wenn wir uns hauptsächlich pflanzlich ernähren –, und wir müssen sie auf keinen Fall in den historisch nie da gewesenen Mengen verzehren wie im Moment. Aber es stimmt, dass es eine Frage ökonomischer Gerechtigkeit ist. Und als solche sollten wir sie auch diskutieren, statt uns mit der Ausrede der Ungleichheit vor Gesprächen über die Ungleichheit zu drücken.

Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung sind für die Hälfte des CO2-Ausstoßes verantwortlich, die ärmste Hälfte der Menschheit dagegen nur für zehn Prozent. Und diejenigen, die am wenigsten für die Erderwärmung können, sind oft am stärksten von ihr betroffen. Nehmen wir zum Beispiel Bangladesch, das von vielen als das Land betrachtet wird, das der Klimawandel am empfindlichsten trifft. Schätzungsweise sechs Millionen Bangladeschi wurden durch Umweltkatastrophen wie Sturmfluten, Wirbelstürme, Dürren und Überschwemmungen bereits obdachlos, und es ist abzusehen, dass in den kommenden Jahren noch Millionen weitere dazukommen werden. Der prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels „könnte etwa ein Drittel der Gesamtfläche überschwemmen und so 25 bis 30 Millionen Menschen ihrer Heimat berauben“.

Es wäre einfach, diese Zahl zu hören, ohne sie zu spüren. Jedes Jahr werden für den World Happiness Report die fünfzig Länder der Erde aufgelistet, in denen die Menschen am glücklichsten sind, basierend darauf, wie die Befragten ihr eigenes Leben vom „bestmöglichen Leben“ bis hin zum „schlimmstmöglichen Leben“ bewerten. 2018 belegten Finnland, Norwegen und Dänemark die Spitzenplätze. Als das Ranking veröffentlicht wurde, war bei National Public Radio tagelang kaum etwas anderes zu hören, und früher oder später kam das Thema in praktisch jedem Gespräch auf. In Finnland, Norwegen und Dänemark zusammen leben etwa halb so viele Menschen, wie in Bangladesch wegen des Klimawandels voraussichtlich werden flüchten müssen. Aber diese dreißig Millionen Bangladeschi, denen das schlimmstmögliche Leben droht, taugen nicht für ein gutes Radioprogramm.

Bangladesch ist eines der Länder mit der weltweit kleinsten CO2-Bilanz, das heißt, es ist am wenigsten verantwortlich für die Schäden, die ihm am meisten zu schaffen machen. Der durchschnittliche Bangladeschi ist für den Ausstoß von 0,29 Tonnen CO2 pro Jahr verantwortlich, während der durchschnittliche Finne für etwa achtunddreißigmal so viel verantwortlich ist: 11,15 Tonnen. Bangladesch ist zufällig auch eines der vegetarischsten Länder der Erde; der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch liegt bei etwa vier Kilo pro Jahr. Der glückliche Durchschnittsfinne konsumierte diese Menge 2018 alle achtzehn Tage – Fisch und Meeresfrüchte nicht mitgerechnet.

Millionen von Bangladeschi zahlen den Preis für einen verschwenderischen Lebensstil, den sie selbst nie genossen haben. Stell dir vor, du hättest nie im Leben eine Zigarette ange-rührt, wärst aber gezwungen, die gesundheitlichen Folgen eines Kettenrauchers auf der anderen Seite des Planeten zu tragen. Stell dir vor, der Raucher bliebe kerngesunder Spitzenreiter der Glücksrangliste – würde Jahr für Jahr weiterrauchen und seiner Sucht frönen –, während du an Lungenkrebs leidest.

Weltweit sind über achthundert Millionen Menschen unterernährt, während sechshundertfünfzigtausend fettleibig sind. Mehr als einhundertfünfzig Millionen Kinder unter fünf Jahren sind wegen Mangelernährung körperlich unterentwickelt – auch so eine Zahl, die man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Stell dir vor, alle Einwohner des Vereinigten Königreichs und Frankreichs wären unter fünf Jahre alt und hätten nicht genug zu essen, um richtig zu wachsen. Drei Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben jährlich an den Folgen von Unterernährung. 1,5 Millionen Kinder sind während des Holocausts gestorben.

Landflächen, die hungrige Bevölkerungsgruppen ernähren könnten, sind für den Anbau von Futter für das Vieh überernährter Bevölkerungsgruppen reserviert. Wenn wir über Lebensmittelverschwendung sprechen, müssen wir aufhören, uns halb voll abservierte Teller vorzustellen, und stattdessen auf die Verschwendung schauen, mit der der Weg auf den Teller einhergeht. Um eine einzige Fleischkalorie zu produzieren, werden bis zu sechsundzwanzig Futterkalorien benötigt. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, schrieb, es sei ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, einhundert Millionen Tonnen Getreide und Mais zu Biokraftstoffen zu verarbeiten, während fast eine Milliarde Menschen auf der Welt an Hunger leiden. Man könnte es als Körperverletzung mit Todesfolge bezeichnen. Er sagte aber kein Wort davon, dass in der Nutztierhaltung jährlich etwa die siebenfache Menge an Getreide und Mais verfüttert wird – genug, um alle hungernden Menschen der Erde zu ernähren –, an Tiere, die von den Wohlhabenden gegessen werden. Dieses Verbrechen könnten wir als Genozid bezeichnen. Es ist also keineswegs so, dass die Massentierhaltung „die Welt ernährt“. Die Massentierhaltung lässt die Welt hungern und richtet sie gleichzeitig zugrunde.

Damit fällt dieses Gegenargument wohl flach.

Es gibt ein ähnlich gelagertes, das ich oft höre: Es sei elitär, eine vorwiegend pflanzliche Ernährung zu propagieren. 

Inwiefern elitär?

Nicht jeder kann es sich leisten, auf tierische Produkte zu verzichten. 23,5 Millionen Amerikaner leben in Nahrungswüsten, fast die Hälfte davon gilt als Geringverdiener. Niemand würde sagen, dass die Armen den Preis für das Verhalten der Reichen zahlen und unter Überschwemmungen, Hungersnöten usw. leiden sollen. Aber wie kann man von ihnen verlangen, teure Lebensmittel zu kaufen?

Und?

Es stimmt, dass eine gesunde Ernährung teurer ist als eine ungesunde – etwa 550 US-$ pro Jahr. Und jeder sollte das Recht auf Zugang zu gesunden, bezahlbaren Lebensmitteln haben. Aber eine gesunde vegetarische Ernährung kostet pro Jahr im Schnitt etwa 750 US-$ weniger als eine gesunde fleischbasierte Ernährung. (Zum Vergleich: Das mittlere Einkommen eines Vollzeitbeschäftigten liegt in den USA bei 31.099 US-$ im Jahr.) Anders ausgedrückt: Eine gesunde vegetarische Ernährungsweise ist jährlich etwa 200 US-$ billiger als die herkömmliche ungesunde Ernährung. Ganz zu schweigen von den Kosten, die durch die Vorbeugung gegen Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten und Krebs eingespart werden – all diese Erkrankungen werden durch den Konsum tierischer Produkte begünstigt. Es ist also nicht elitär, wenn man sich für eine preisgünstigere, gesündere und ökologisch nachhaltigere Ernährungsweise einsetzt. Was mir dagegen elitär erscheint: Wenn jemand die Existenz von Menschen, die keinen Zugang zu gesunder Nahrung haben, als Ausrede nutzt, nichts zu verändern, statt als Antrieb, um diesen Menschen zu helfen.

Sonst noch irgendwelche Gegenargumente?

Was ist mit den Millionen von Bauern, die ihre Einkommensgrundlage verlieren würden?

Ja, was denn?

Es gibt in Amerika heute weniger Bauern als während des Sezessionskriegs, obwohl die amerikanische Bevölkerung fast elfmal so groß ist. Wenn der ultimative Traum der Massentierhaltungsindustrie erst Realität ist, gibt es bald gar keine Bauern mehr, weil auf den „Höfen“ alles vollautomatisch abläuft. Es hat mich positiv überrascht, dass Viehbauern zu denen gehörten, die Tiere essen am lautesten priesen – sie verachten die Massentierhaltung ebenso sehr wie Tierrechtsaktivisten, wenn auch aus anderen Gründen.

Die Krise des Planeten wird es schwieriger und teurer machen, Vieh aufzuziehen, weil Dürreperioden die Ernteerträge schmälern und extreme Wetterereignisse wie Hurrikans, Waldbrände und Hitzewellen Nutztiere töten. Klimaveränderungen sorgen schon heute weltweit für Einbußen bei den Viehbeständen. Langfristig gesehen wird der Umstieg auf erneuerbare Energien, pflanzliche Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft viel mehr Arbeitsplätze schaffen, als er zerstört. Dieser Wandel wird auch den Planeten retten, und was hätte man davon, die Bauern zu retten, ohne den Planeten zu retten?

Was noch?

Nicht alle tierischen Produkte schaden der Umwelt.

Was Quatsch ist, weil …?

Das ist kein Quatsch. Natürlich ist es möglich, eine relativ kleine Anzahl an Tieren auf umweltverträgliche Weise aufzuziehen. So war es ja auf den Bauernhöfen, bevor die ersten Tierfabriken aufkamen. Es ist auch möglich, Zigaretten zu rauchen, ohne dass es die Gesundheit gefährdet. Eine einzige Zigarette schadet nicht.

Okay, aber wer raucht schon nur eine einzige Zigarette?

Jemand, der es eklig fand, oder jemand, der klüger ist und aufhört, bevor er süchtig wird. Aber die wenigsten Menschen finden tierische Produkte eklig. Die meisten, so wie ich, essen diese Dinge für ihr Leben gern. Also wollen wir natürlich mehr davon. Ich weiß es besser, aber mein Verlangen danach ist oft zu stark, um dagegen anzukommen. Wie die meisten Amerikaner bin ich mit Fleisch, Milchprodukten und Eiern groß geworden und hatte nicht die Chance, damit aufzuhören, bevor ich süchtig war.

Aber sind tierische Produkte denn generell schlecht für die Umwelt?

Mehr als generell, und mehr als schlecht. Der UNO zufolge zählt die Viehhaltung zu den „zwei oder drei wichtigsten Ursachen für die schwerwiegendsten Umweltprobleme, auf lokaler wie auf globaler Ebene […]. Im Umgang mit Problemen wie Bodendegradation, Klimawandel, Luftverschmutzung, Wasserknappheit, Gewässerverschmutzung und Artensterben sollte hier ein Hauptaugenmerk liegen. An der Entstehung von Umweltproblemen hat die Nutztierhaltung einen massiven Anteil.“

Warum erwähnst du dann überhaupt, dass es so etwas wie einen guten Bauernhof gibt?

Weil es enorm verlockend ist, diese wissenschaftlich und psychologisch komplizierte Angelegenheit zu grob zu vereinfachen: sich vorteilhafte Statistiken herauszusuchen, über „unlogische“ Gefühle hinwegzugehen und Sonderfälle zu ignorieren. Und wenn ohnehin schon so schwer zu beherzigen ist, dass es entscheidend ist, was wir essen – wenn selbst kluge und sozial engagierte Menschen Schlupflöcher suchen, durch die sie mit unverändertem Lebensstil entkommen können –, können sich Ungenauigkeiten wie Unaufrichtigkeiten anfühlen.

Es gibt übrigens noch ein weiteres Gegenargument: Die Zahlen sind so vage, dass sie beinahe nicht mehr glaubwürdig sind. Ich habe eine Quelle zitiert, die den Anteil der Viehhaltung am Treibhauseffekt mit 14,5 Prozent beziffert. Und wiederum andere, die ihn bei 51 Prozent sehen. Dabei stammt die niedrige Einschätzung nicht von Tyson Foods und die hohe nicht von PETA. Man könnte mit einigem Recht behaupten, dass es sich hierbei um die wichtigste aller statistischen Zahlen zum Klimawandel handelt, und der höchste geschätzte Wert beträgt das Dreifache des niedrigsten. Warum sollte dann jemand auf meine Worte vertrauen, wenn ich nicht präziser sein kann?

Ja, warum?

Ich kann ja präziser sein. Im Anhang (zu lesen im Buch wie wir morgen essen und trinken wollen, Anm. der Red.) erläutere ich die Methodik hinter diesen Zahlen und erkläre, warum ich 51 Prozent für realitätsnäher halte. Aber die infrage stehenden Systeme sind komplex und miteinander verbunden, und um sie in Zahlen zu fassen, ist es nötig, einige zentrale Annahmen zu treffen. Vor dieser Schwierigkeit stehen selbst die politisch neutralsten Wissenschaftler. (…) 

Verschiedene Studien schlagen als Reaktion auf den Klimawandel verschiedene Änderungen unserer Ernährungsgewohnheiten vor, aber die grobe Richtung ist ziemlich klar. Die umfassendste Einschätzung des Einflusses der Nutztierindustrie auf die Umwelt wurde im Oktober 2018 in Nature veröffentlicht. Nachdem die Autoren die Nahrungsproduktionsketten aller Länder der Erde analysiert hatten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass unterernährte und in Armut lebende Menschen rund um den Globus zwar tatsächlich etwas mehr Fleisch und Milchprodukte zu sich nehmen könnten, der durchschnittliche Erdbewohner aber auf eine pflanzliche Ernährung umstellen muss, um schwerwiegende und irreversible Umweltschäden zu vermeiden. Der durchschnittliche Amerikaner oder Brite muss neunzig Prozent weniger Rindfleisch und sechzig Prozent weniger Milchprodukte konsumieren.

Wie soll man das bitte im Blick behalten?

Keine tierischen Produkte vor dem Abendessen. Es bewirkt vielleicht nicht exakt die geforderte Reduzierung, aber man kann es sich leicht merken.

Und einfach umsetzen.

Kommt auf den Hai an. Es wäre unaufrichtig und kontraproduktiv, so zu tun, als müsste man sich nicht etwas umstellen, um sich bis zum Abendessen vegan zu ernähren. Aber ich wette, dass die meisten Menschen, wenn sie an ihre besten Mahlzeiten im Laufe der letzten Jahre zurückdenken – die Mahlzeiten, die ihnen den größten kulinarischen Genuss und die beste Gesellschaft geboten haben oder in kultureller oder religiöser Hinsicht am bedeutungsvollsten waren –, so gut wie ausschließlich an Abendessen zurückdenken.

Und wir müssen uns klarmachen, dass wir um Veränderungen nicht umhinkommen. Entweder suchen wir uns aus, was wir verändern, oder wir werden diejenigen sein, auf die sich Veränderungen auswirken – Massenmigration, Krankheiten, bewaffnete Konflikte, eine stark eingeschränkte Lebensqualität –, aber eine Zukunft ohne Veränderung wird es nicht geben. Der Luxus, zu entscheiden, was wir verändern wollen, hat ein Verfallsdatum.

Und für dich?

Was?

War es für dich einfach, etwas zu verändern?

Ich habe mir eine Deadline gesetzt: Sobald ich mit diesem Buch fertig bin, verzichte ich auf Eier und Milchprodukte.

Du machst Witze.

Nein.

Du meinst, du setzt das selbst noch nicht konsequent um?

Ich habe es noch nicht probiert.

Wie zum Teufel willst du das erklären?

Mit dem einzigen Gegenargument, auf das ich keine Erwiderung weiß: Es ist eine Fantasie. Eine wissenschaftlich solide, moralisch einwandfreie und unangreifbare Fantasie. Aber eben eine Fantasie. Eine sehr große Zahl von Menschen wird ihre Ernährung nicht umstellen, schon gar nicht in der erforderlichen Zeit. Sich an eine Fantasie zu klammern, ist genauso gefährlich, als würde man einen realisierbaren Plan aufgeben.

Und wenn du darauf etwas erwidern solltest?

Als lebendes Beispiel für dieses Argument käme ich da echt ins Schleudern.

Versuch’s.

Ehrlich gesagt, bin ich wenig hoffnungsvoll.

Gut. Und jetzt erzähl mir, wie aus der Fantasie ein realisierbarer Plan werden könnte.

Das ist schwer vorstellbar.

Selbst wenn es noch so weit hergeholt sein sollte.

Wenn wir es schaffen, wird nicht eine Sache allein ausschlaggebend sein. Damit wir tun, was getan werden muss, braucht es höchstwahrscheinlich Erfindungen (wie zum Beispiel Veggie-Burger, die nicht vom Original aus Rindfleisch zu unterscheiden sind), Änderungen in der Gesetzgebung (z. B. die Anpassung der Agrarsubventionen und Regelungen, durch die die Nutztierbranche für die von ihr verursachten Umweltschäden zur Verantwortung gezogen wird), Bottom-up-Engagement (College-Studenten, die von ihren Cafeterien fordern, tagsüber keine tierischen Produkte zu verkaufen), Top-down-Engagement (Stars, die die Message verbreiten, dass wir den Planeten nicht retten können, ohne unser Essverhalten zu verändern) und so weiter und so fort.

Niemand wird den Klimawandel heilen? Alle werden den Klimawandel heilen?

Ganz genau.

Hilf mir dabei, mir das vorzustellen.

Ich sehe es ehrlich gesagt nicht.

Du hast keine Hoffnung.

Ich bin realistisch.

Selbst wenn du glaubst, dass ich es längst weiß: Erinnerst du mich noch mal daran, warum es realistisch ist, keine Hoffnung zu haben?

Willst du mich auf den Arm nehmen?

Jetzt sag schon.

Wegen der Schäden, die wir schon angerichtet haben, Schäden, die entweder behoben werden müssen oder nicht behoben werden können. Weil innerhalb eines einzigen Jahres im Amazonas – einem Ökosystem, das viertausend Jahre braucht, um sich zu regenerieren – eine Fläche gerodet wurde, die fünfmal der Größe Londons entspricht. Weil es enorm schwierig wird, eine Kehrtwende zu machen, wenn 7,5 Milliarden Menschen auf dem Gaspedal stehen. Weil der CO2-Ausstoß Amerikas 2018 um 3,4 Prozent gestiegen ist. Wegen der Ungenauigkeit einer Berechnung, die von Genauigkeit abhängt – ein halbes Grad kann exakt die Differenz sein, die den Unterschied macht. Wegen des berechtigten Wunsches von Entwicklungs- und Schwellenländern, mit den Ländern gleichzuziehen, die den größten Anteil am Klimawandel haben. Weil der Bedarf an Klimaanlagen steigen wird, wenn es wärmer wird, wodurch mehr Treibhausgase ausgestoßen werden. Wegen der Tausenden anderer Rückkopplungseffekte. Weil 2017 entdeckt wurde, dass der Methanausstoß von Rindern mindestens elf Prozent höher ist als bisher bekannt und weil 2018 entdeckt wurde, dass die Meere sich um vierzig Prozent schneller aufheizen als bisher angenommen. Weil viele der Menschen, die der Klimawandel am meisten beeinträchtigt (und die seine Schrecken am besten bezeugen können), nicht die Möglichkeit haben, sich öffentlich Gehör zu verschaffen und unser kollektives Gewissen wachzurütteln. Weil die Interessengruppen, die einer Lösung des Problems im Weg stehen, mehr Macht, Antrieb und Köpfchen haben als die, die nach einer Lösung suchen. Weil die Erdbevölkerung in den nächsten dreißig Jahren voraussichtlich um 2,3 Milliarden Menschen anwachsen wird und man eine Verdreifachung des globalen Einkommens erwartet, was bedeutet, dass sehr viel mehr Menschen es sich werden leisten können, viele tierische Produkte zu konsumieren. Weil es allem Anschein nach unmöglich ist, über Ländergrenzen hinweg oder auch nur innerhalb eines Landes zu kooperieren. Weil es sehr gut sein kann, dass es schon zu spät ist, um einen unkontrollierbaren Klimawandel zu verhindern. Weil –

Verstehe schon.

Wegen der menschlichen Natur: Leute wie ich, denen etwas daran liegen sollte, die motiviert sein und ihr Verhalten radikal ändern sollten, finden es fast unmöglich, für einen großen zukünftigen Gewinn kleine Opfer zu bringen. Weil –

Genug.


Aus Wir sind das Klima! (2019). Erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, 328 Seiten, 22,– Euro, ISBN 978-3462053210

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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.

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