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Die Art, wie wir uns ernähren, entwickelt zunehmend politische Sprengkraft. Wir belasten nicht nur unsere eigene Gesundheit, sondern durch unseren Konsum auch den Fortbestand der Erde. Die sozialen Folgen: Annähernd eine Milliarde Menschen leben nicht so wie wir. Sie leiden Hunger, während in den Industrieländern jährlich weit mehr als 200 Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt werden.

Die Weltbevölkerung wird bis ins Jahr 2050 auf 9,7 Milliarden anwachsen. Zugleich schwinden Ressourcen. Die Konsequenzen des Klimawandels zeigen sich immer deutlicher. Die Lebensmittelindustrie orientiert sich nicht an Nachhaltigkeitskonzepten oder Fairness, sondern an schnellem Wachstum.

(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Welche neuen Ideen gibt es, welche technischen Verfahren sind zukunftsweisend? Permakultur und Gentechnik? Nachhaltiger Konsum oder Verzicht? Können wir durch Veränderungen unserer Gewohnheiten Märkte und politische Entscheidungswege beeinflussen? Wie werden wir künftig unsere Nahrung bewerten, wie werden wir auswählen, was auf den Tisch kommt? Greifen wir nach In-vitro-Fleisch, zum Steak oder zum Algensalat? 

Ausgelöst durch die Klimakrise und letztlich auch durch die Coronapandemie setzt ein großes Umdenken in der Gesellschaft ein. Wir haben uns mit Dr. Jan Grossarth, dem Herausgeber des Fachbuchs Future Food – Die Zukunft der Welternährung, über die anstehenden Herausforderungen für die globale Ernährungs- und Landwirtschaft unterhalten. 

Dr. Jan Grossarth ist ein deutscher Journalist und Autor. 2019 erschien der von ihm herausgegebene wissenschaftsjournalistische Band Future Food. Die Zukunft der Welternährung, in dem Journalisten und Wissenschaftler die Möglichkeiten und Grenzen der zukünftigen Welternährung ausloten.

Herr Dr. Grossarth, ob Klimakrise, Coronakrise, Wirtschaftskrise oder  aufkommender Populismus. Viele Problemfelder liegen augenblicklich im Fokus. Die Biodiversitätskrise ist aber die größte aller Krisen – sie ist für die Menschen existenziell. Habitatzerstörung, unkontrollierte Ausbeutung der Natur, die Klimakrise, die Verschmutzung der Umwelt und invasive Arten – auch durch Menschen gemacht – bergen große Gefahren. Die globale Ernährungs- und Landwirtschaft muss neu gedacht werden. Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell drängendsten Aufgaben?

Erstens: die Biodiversitätskrise. Wir müssen Landwirtschaftsformen finden, die die natürliche Umwelt nicht mehr schädigen und dem Leben im Boden, bis hin zu den Insekten, eine Koexistenz von produktiver Landwirtschaft und Artenreichtum ermöglichen. Zweitens die Kreislaufwirtschaft der Stoffe. Dieses Thema ist im Grunde politisch und medial völlig unter dem Radar und unterrepräsentiert. Die Nährstoffe für unsere Lebensmittel sollten nicht länger als mineralische fossilbasierte Düngemittel dienen. Stattdessen sollten wir eine Kreislaufwirtschaft anstreben. Da muss man am Ende über Urin und Fäkalien, über Trenntoiletten sprechen. Diese Dinge sind unattraktiv und ekelerregend. Niemand aus dem politischen Raum packt diese Themen gern an. Drittens: Das Höfesterben muss aufhören. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft ist dramatisch. Wenn Sie eine Umfrage durchführen, wer in der nächsten Generation die landwirtschaftlichen Betriebe, die noch existieren, übernehmen will, stellen Sie fest, dass über 50 Prozent der Betriebe noch keine Nachfolgeregelung getroffen haben. Wie kann man das stoppen? Wir brauchen verantwortungsvolle Menschen, die regional Land bewirtschaften.

Wie wird die Landwirtschaft der Zukunft aussehen?

Erstens werden die Monokulturen – die Reinkulturen – in dieser Form keinen Bestand mehr haben, wenn die Biodiversitätsziele ernst genommen werden. Man wird alle 600 bis 500 Meter oder auf noch engerem Raum die Monokulturen unterbrechen müssen. Man wird Hecken, Bäume und Blühstreifen, man wird mehrjährige Strukturen – so heißt das in dieser technischen Sprache – schaffen müssen: Landschaften, die mit mehrjährigen Elementen durchsetzt sind. Man weiß, dass, wenn man verschiedene Kräuter wie Dill anpflanzt, Nützlinge angezogen werden. Das sind Push- und Pull-Faktoren. Pflanzen Sie derartige Kräuter in den Blühstreifen, dann ziehen Sie Nützlinge an, die die Schädlinge beseitigen, und der Mais wächst ohne Chemie. 

Ein Blühstreifen ist ein mit Saatgut meist bunt blühender Pflanzenarten eingesäter Streifen Land, häufig am Rand eines Ackers, der zur Förderung der lokalen Biodiversität dienen soll. (Fotografie: Adobe Stock)

Überhaupt wird es eine größere Vielfalt an Früchten geben müssen, die auf den Äckern wachsen. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass weltweit nur noch wenige Feldkulturen dominant angebaut werden: Soja, Mais, Raps und Weizen. In Asien kommt noch Reis dazu. Diese Anbauweise geht mit einem großen Artenverlust und Einengung des Artenspektrums einher. Will man sich hiervon abkehren, wird man sich auf alte Sorten wie Emmer, Lupinen, Erbsen oder Bohnen zurückbesinnen müssen. Vorstellbar ist zum Beispiel, dass man aus Ackerbohnen und Erbsen Mehl produziert. Für mich als Volkswirt stellt sich dann aber ernsthaft die Frage, wie man für solche Produkte Nachfrage schaffen kann. Wie kriegt man einen Ägypter dazu, statt Weizenmehl Erbsenmehl zu importieren?

Aber es wäre eine Wende, weg von einem industriell gedachten Ackerbausystem, das gegen die symbiotischen Pflanzengemeinschaften die Reinkultur optimiert hat. Es gibt ein Jenaer Experiment, das zeigt, dass da, wo Sie nicht düngen und keine Chemie einsetzen, wo verschiedene Pflanzen auf einem Feld wachsen, insgesamt mehr Biomasse entsteht. Die Monokultur ist etwas Lebensfeindliches, das artifiziell nur durch hohen Energieinput von Dünger und Chemie möglich gemacht wurde. 

Dünger und Chemie zerstören ja auch die Böden. Wenn man eine Handvoll gute Erde nimmt, dann sind darin mehr Lebewesen zu finden, als Menschen auf unserem Planeten leben. Diese Lebewesen machen aus dem Klumpen Erde erst etwas Fruchtbares. Erde besteht überwiegend aus organischem Material, biochemische Prozesse machen sie fruchtbar. Die Schicht Erde, die unseren Erdball ummantelt, ist im Durchschnitt nur 30 Zentimeter dick. Wenn wir diese Schicht zerstören, haben wir nur noch Sand. Und auf Sand wächst nichts …

Auf Sand wächst nichts, es sei denn, man hat die Vorstellung, die ganze Welt könne ein Gewächshaus werden. Man kann auch von Sand alles ernten, wenn man alle Nährstoffe auf die Wurzeln gibt. Das ist das pervertierte Bild einer industriellen Landwirtschaft: Alles, was die Pflanze scheinbar braucht, wird zugesetzt. Und die Drohne fliegt darüber und erkennt am Grün des Blattes sofort, wenn es der Pflanze an irgendetwas mangelt. Dann wird optimiert und eingestellt. Das ist wie bei Palliativpatienten, die künstlich ernährt werden …

Urban Farming fußt doch auf dieser Idee!?

Urban Farming beruht natürlich auf einer hoch technisierten Idee mit dem Ziel, die Lebensmittelproduktion ganz von natürlichen Produktionskreisläufen loszulösen. Man schützt die Pflanzen durchs Gewächshaus vor Schädlingen – da sind keine Insekten mehr nötig. Die Insekten, die man für die Bestäubung braucht, kauft man zu. 

Was sagt die Bauernlobby zu all dem?

Die Bauernlobby kann jetzt nicht so frei kritisch assozieren wie wir beide, sie vertreten Interessen eines historisch gewachsenen Status quo. In diesem Sinne finde ich, verdient die Bauernlobby Respekt. Sie ist in einer schwierigen Position und steht an einer historischen Wegegabelung. Über Jahrzehnte war sie politisch angehalten, das ganze System auf Ertragssteigerung und Optimierung zu trimmen. Die Bauern sind seit den 1950er Jahren über Generationen diesen Weg mitgegangen. Es gab den Grünen Plan mit dem Ziel der Produktionserhöhung. Von diesem Weg sind sie nicht abzubringen und sind damit auf dem Weg des Scheiterns: auf der einen Seite isoliert, auf der anderen Seite immer noch einflussreich.

Der Hintergrund meiner Frage ist: Wenn die Problematik rund um die Agrarwende eine drängende ist, welche Interessenvertretung schiebt sie politisch an?

Wir haben eine funktionale Differenzierung in der Gesellschaft, so sagte es Niklas Luhmann, und in diesem Rahmen gibt es natürlich auch viele politische Vertreter, die das Problem als drängendes erkannt haben. Das ist die Umweltpolitik, das ist das Bundeskanzleramt und auch die EU-Kommissionspräsidentin.

Wann und wo entscheidet sich die Welternährungsfrage? Gibt es unumkehrbare Kipppunkte in der Ernährungsfrage?

Ökosystemwissenschaftler untersuchen solche Fragen. Das ist sehr abstrakt, und ich lese auch nur darüber. Folgende Antwort kann ich aufgrund meiner Erfahrungen geben: Die Klimabewegung beruft sich auf die Wissenschaft, die ganz klar sagt, was gemacht werden muss. So und so viel CO2 und CO2-Äquivalente müs-sen reduziert werden. Dieser Teil der Welt hat so viel dazu beizutragen, der andere weniger. Und dann können die natürlichen Kreisläufe wieder in Gang kommen. Ich halte das Verzichtsparadigma, das noch so gut wissenschaftlich begründet wird, für zum Scheitern verurteilt. Wir haben eine zunehmende Polarisierung der Debatte, wir haben eine Radikalisierung der Klimaaktivisten. Das spielt nur den Rechtspopulisten in die Karten.

Wir brauchen eher eine kluge Strategie der Klimaanpassung. Wir werden weiterhin mit dem Klimawandel konfrontiert sein, und er wird schlimmer werden. Urban Farming als grüne Industrie halte ich für einen Teil des notwendigen Weges in die Zukunft. Es wird dort notwendig sein, wo Niederschläge fehlen und weiterhin fehlen werden: in den Ländern des Südens. Urban Farming mit modernster Gewächshaustechnik – dazu gehört Technik wie LED-Beleuchtung, aber auch ein Verständnis von simulierten naturnahen Produktionssystemen: Ernergiekreisläufe in geschlossenen Systemen. Urban Farming ist eine Lösung für Megacities des Südens und Ostens, in Gegenden, wo die Ernten knapp werden und die Bevölkerungszahlen explodieren. Diesen Weg halte ich für alternativlos.

Das gesamte Gespräch in Band eins wie wir morgen essen und trinken wollen.

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Von Eckard Christiani

Eckard Christiani ist ein Journalist, Kommunikationsberater und Grafikdesigner.

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