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Gespräch mit meiner Seele

Auszug aus dem Buch „Wir sind das Klima“ von Jonathan Safran Foer

(Illustration: Julia Ochsenhirt)

Du hast also … keine Hoffnung?

Nein. Ich kenne zu viele kluge und engagierte Menschen – keine neunmalklugen Narzissten, sondern gute Menschen, die ihre Zeit, ihr Geld und ihre Kraft dafür einsetzen, die Welt zu verbessern –, die niemals etwas an ihrer Ernährungsweise ändern würden, egal mit welchen Argumenten man sie zu überzeugen versuchen würde.

Wie würden diese klugen und sozial engagierten Menschen erklären, dass sie so wenig gewillt sind, anders zu essen?

Das würde man sie nie fragen.

Und wenn doch?

Dann würden sie vielleicht sagen, dass die Nutztierhaltung zwar ein System mit gravierenden Mängeln ist, die Menschen aber nun mal etwas essen müssen und tierische Produkte heute billiger sind denn je.

Und was würdest du ihnen antworten?

Ich würde sagen, dass wir zwar etwas essen müssen, aber nicht unbedingt tierische Produkte – es ist fast mit Sicherheit gesünder für uns, wenn wir uns hauptsächlich pflanzlich ernähren –, und wir müssen sie auf keinen Fall in den historisch nie da gewesenen Mengen verzehren wie im Moment. Aber es stimmt, dass es eine Frage ökonomischer Gerechtigkeit ist. Und als solche sollten wir sie auch diskutieren, statt uns mit der Ausrede der Ungleichheit vor Gesprächen über die Ungleichheit zu drücken.

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ernaehrung klimawandel politik

freiwilligkeit ist vorbei!

„Der Ernährungs- und Agrarbereich muss jetzt so umgebaut werden, dass regionale Lebensmittel anhand einer Herkunftskennzeichnung erkennbar sind,  dass Projekte der regionalen Vermarktung institutionell gefördert werden und mehr Ernährungskompetenz vorhanden ist. Dazu braucht es systematische Programme und nicht nur hier und da kleine Modellprojekte“, meint Renate Künast, ehemalige Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was Politik leisten kann und muss.

Eckard Christiani im Gespräch mit Renate Künast
(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Frau Künast, es gibt ausreichend Gründe, über eine veränderte Ernährung und eine Agrarwende nachzudenken – alle für sich allein sind eigentlich schon ausreichend: unsere Gesundheit, die Klimakrise, das Artensterben, die Agrarkrise, letztlich auch die Coronakrise. Alle Krisen scheinen mit der Art und Weise, wie wir uns angewöhnt haben, uns zu ernähren, in Verbindung zu stehen. Sehen Sie das auch so?

Wissen Sie, was mich an Diskussionen zu diesem Thema stört? Am Ende geht es immer um das Individuum. Darum, wie wir uns als Einzelperson ernähren. Wir seien doch mündige Bürger, heißt es, man könne sich so oder so entscheiden. Für Food Waste sind wir auch als Individuum verantwortlich. 

Das lenkt aber den Blick weg von den Grundstrukturen. Deswegen würde ich nicht sagen „wie wir uns ernähren“, sondern „wie wir unsere Mittel zum leben herstellen“ – denn so nehme ich den gesamten Prozess in den Blick. Ob national oder international: Es fängt bei der Frage an, was wir dem Produzenten erlauben, wie er mit unseren natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen umgeht. Es fängt damit an, dass wir eine Industrie zugelassen haben, die Zucker und Palmfett als billige Rohstoffe betrachtet. Durch diese beiden Inhaltsstoffe werden Produkte fest, sehen gut aus, bekommen das richtige Gewicht – und machen uns überdies süchtig und abhängig. 

(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Wir haben Schönheitskriterien zugelassen. Die Möhre darf nicht einfach krumm wachsen, wenn im Erdreich ein Stein im Weg ist, denn dann kommt sie gar nicht erst in den Handel.

Wir haben in diesem Kontext Raubbau in internationaler Arbeitsteilung zugelassen: Die einen halten die Tiere, und die anderen stellen mithilfe von Chemikalien in Monokulturen das Futter für diese Tiere her. Wir roden Urwälder für Palmfett, wir stellen Zucker in Monokulturen her. Am Ende dieser Prozesse stehen hoch verarbeitete – sagen wir einmal: erfundene – Lebensmittel. Und zwar in einer Komposition, die nicht nur Umweltschäden – also die Klimakrise und das massive Artensterben – ausgelöst hat, sondern das Leben der Konsument*innen mehrfach belastet: durch die Folgen ebenjener Klimakrise und das Hüftgold an unseren Körpern.

In Zeiten wie diesen sind wir in den Lebensraum von Tieren vorgedrungen, zu denen wir sonst gar keinen Kontakt hätten. Wir haben sie sogar zu uns geholt und damit eine Pandemie begünstigt.

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ernaehrung klimawandel publishing

kochen und persönlichkeit

„Essen ist“, schreibt Ullrich Fichtner schon vor 15 Jahren in seinem Buch Tellergericht,so schön es ist, eine ernste Angelegenheit, es ist ein Test auf den Zustand einer Gesellschaft, auf ihre innere Verfassung.“ Der Spiegel-Journalist ist der Überzeugung, dass Kochen und Essen Schulen des Lebens sind.

Spiegel-Journalist Ullrich Fichtner, lebt und arbeitet in Paris
(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Herr Fichtner, wie kommt man als Spiegel-Journalist auf das Thema Essen? Sie haben sich doch sicherlich mit ganz anderen Themen auseinandersetzen müssen.

Absolut! Ich war zu der Zeit sogar in Krisengebieten unterwegs. Nein, ich bin vor 15 Jahren von der Deutschen Verlags-Anstalt gefragt worden, ob ich mir vorstellen könnte, ein Buch zu schreiben. Was ich überlegt habe, war, mit welchem Thema ich mich wirklich ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr beschäftigen möchte. Und das war ziemlich einfach, weil Essen nicht nur eine schöne Sache ist, sondern eine sehr viel größere Bedeutung hat, als unsere Gesellschaft in der Lage ist wahrzunehmen. Deswegen war diese Entscheidung für mich naheliegend. Ich hatte auch, als ich vorher bei der Frankfurter Rundschau war, schon einiges zum Thema Essen geschrieben. Darunter eine Reportage über den Westberliner Fleischmarkt an der Beusselstraße und über die Schweinemast- und Sauenanlage in Losten bei Bad Kleinen – das war zu jener Zeit der größte Betrieb dieser Art in Deutschland. Über 62.000 Schweine mussten damals gekeult werden, weil dort die Schweinepest aufgetreten ist. Das war damals die Zeit der Essensskandale: BSE, Dioxin in Hühnereiern und so weiter.

Das Kochen und Zubereiten von Speisen verschwindet trotz der unzähligen Kochshows im Fernsehen und Kochbucherscheinungen, die es gab und gibt, zunehmend aus dem Fokus. Was geht uns da verloren?

Kochen und Essen gehören zusammen. Eine schockierende Zahl ist, dass nur noch 70 Prozent der Familien in Deutschland einmal in der Woche gemeinsam essen. Alle anderen Mahlzeiten werden irgendwann und irgendwo eingenommen. In Kantinen, in Schulen, am Arbeitsplatz oder im Gehen auf der Straße, was dann besonders charmant ist. Das kann nur zu einem sozialen Defizit führen, weil in alten Zeiten am Tisch, als dieser noch Mittelpunkt des Familienlebens war, viele Dinge besprochen und verhandelt, viele Sachen gelernt wurden. Es wurden dort die Grundwerte des Zusammenlebens – Teilen, Verzichten, auch Gehorchen – geübt. Voraussetzung dafür war natürlich, dass vorher jemand kochte.

Ullrich Fichtner im Gespräch mit Eckard Christiani
(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Kochen ist, und davon bin ich zutiefst überzeugt, eine Schule des Lebens, weil es uns mit unseren Lebensmitteln im Rohzustand bekannt macht. Auch unsere Ekelgrenzen haben sich verschoben, weil wir kaum noch mit rohem Fleisch in Berührung kommen. Es gibt inzwischen viele Menschen, die ganze Fische nicht mehr sehen können. Das sind Entfremdungsprozesse, die meines Erachtens auch dazu führen, dass wir ein grundsätzlich gestörtes Verhältnis zu unserer Umwelt haben.

Es ist schön, so ganz abstrakt das Klima zu schützen, aber wenn ich schon erschrecke, weil ein Frosch vor mir sitzt, dann läuft da etwas schief.

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intellektuelle grundlagen

Die Art, wie wir uns ernähren, entwickelt zunehmend politische Sprengkraft. Wir belasten nicht nur unsere eigene Gesundheit, sondern durch unseren Konsum auch den Fortbestand der Erde. Die sozialen Folgen: Annähernd eine Milliarde Menschen leben nicht so wie wir. Sie leiden Hunger, während in den Industrieländern jährlich weit mehr als 200 Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt werden.

Die Weltbevölkerung wird bis ins Jahr 2050 auf 9,7 Milliarden anwachsen. Zugleich schwinden Ressourcen. Die Konsequenzen des Klimawandels zeigen sich immer deutlicher. Die Lebensmittelindustrie orientiert sich nicht an Nachhaltigkeitskonzepten oder Fairness, sondern an schnellem Wachstum.

(Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)

Welche neuen Ideen gibt es, welche technischen Verfahren sind zukunftsweisend? Permakultur und Gentechnik? Nachhaltiger Konsum oder Verzicht? Können wir durch Veränderungen unserer Gewohnheiten Märkte und politische Entscheidungswege beeinflussen? Wie werden wir künftig unsere Nahrung bewerten, wie werden wir auswählen, was auf den Tisch kommt? Greifen wir nach In-vitro-Fleisch, zum Steak oder zum Algensalat? 

Ausgelöst durch die Klimakrise und letztlich auch durch die Coronapandemie setzt ein großes Umdenken in der Gesellschaft ein. Wir haben uns mit Dr. Jan Grossarth, dem Herausgeber des Fachbuchs Future Food – Die Zukunft der Welternährung, über die anstehenden Herausforderungen für die globale Ernährungs- und Landwirtschaft unterhalten. 

Dr. Jan Grossarth ist ein deutscher Journalist und Autor. 2019 erschien der von ihm herausgegebene wissenschaftsjournalistische Band Future Food. Die Zukunft der Welternährung, in dem Journalisten und Wissenschaftler die Möglichkeiten und Grenzen der zukünftigen Welternährung ausloten.
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der start

Heute geht der erste Band von morgen – wie wir leben wollen in den Druck: wie wir morgen essen und trinken wollen wagt den Blick über den Tellerrand hinweg auf das große Ganze des globalen Ernährungssystems und auf kulinarische sowie künstlerische Ideen, auf das Philosophische und Visionäre.

Band 1 wie wir morgen essen und trinken wollen

Essen ist lebensnotwendig und weit mehr als Ernährung. Es ist das Glück im Kleinen und lustvoller Genuss, es ist regionale Identität und eng mit unserer Geschichte und Kultur verbunden.

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